Verlieb dich nie nach Mitternacht
Suchtrupp in die Arme. Man brachte mich ins Gefängnis. Dann wurde ich krank.«
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Ja, klar. Deshalb hast du mich auch sofort suchen lassen.«
Mit wenigen Schritten war er bei ihr. Seine Hände schwebten neben ihren Schultern, um sie zu packen, zu liebkosen, sie an sich zu drücken. Ungestüme Freude erfüllte ihn. Er war ihr nicht gleichgültig. »Die Offensive der Alliierten stand damals unmittelbar bevor. Ich durfte den Hof und die Menschen, die hier leben, nicht im Stich lassen, aber ich hätte es so gern getan.« Sein Lächeln bat aufrichtig um Vergebung.
»Dann kommt der Hof auch vor der Frau, die du liebst?«
»Der Wert eines Mannes bestimmt sich allein nach dem Land, das er besitzt. Die Frau, die ich liebe, versteht das.« Ungeahnte Zärtlichkeit wallte in ihm auf. Wie konnte Maribel nur ernsthaft annehmen, sie bedeute ihm nichts. Von der ersten Sekunde an, in der sie sich trafen, hatte er sie begehrt. Er sehnte sich danach, seinen Kopf in ihren Locken zu vergraben, ihre Haut mit Küssen zu bedecken.
»Maribel, meine Maribel.« Er zog sie in seine Arme, drückte sie an sich, küsste ihr Haar, ihre Stirn. Erwartungsvoll spitzte sie die Lippen.
Früher hatten seine Küsse sie stets zum Schmelzen gebracht. Deshalb wollte sie ein allerletztes Mal seinen Mund auf ihren Lippen spüren. Nur, um wirklich ganz sicherzugehen, dass es Boris war, den sie verließ – um ihn glücklich zu machen.
Sie spürte Friedrichs drängende Nähe, nahm verschwommen den zarten Duft seines Eau de Toilettes wahr, Erwartungsvoll öffneten sich ihre Lippen für ihn.
Benommen reagierte Maribel, wie Friedrich plötzlich erschrocken auf Abstand zu ihr ging. Sie öffnete die Augen und folgte seinem starren Blick. Agnes stand im offenen Türrahmen. Hoch aufgerichtet, die Augen weit aufgerissen im bleichen Gesicht. Wie so häufig in letzter Zeit hatte sie sich in ihrem Bett schlaflos herumgewälzt, als sie Stimmen aus dem Arbeitszimmer ihres Mannes hörte.
Sie wünschte, sie hätte die Tür nicht geöffnet.
Tiefer Schmerz durchfuhr sie, als sie in den schuldbewussten Gesichtern der beiden Spuren der Leidenschaft entdeckte, die sie in Friedrichs Armen vergeblich suchte. Sie spürte, wie ihr schwarz vor Augen wurde, doch die Genugtuung, vor ihnen ohnmächtig zu werden, wollte sie ihnen nicht gönnen.
»Ich habe es geahnt«, sagte sie schlicht.
Ihre beherrschte Würde trieb Maribel die Tränen in die Augen. Unwillkürlich machte sie einen Schritt auf Agnes zu, wollte ihr sagen, dass es ihr leidtat, dass sie sie nie hatte verletzten wollen. Doch mit einer matten Handbewegung gebot Agnes ihr Einhalt.
»Nicht.« Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie verließ den Raum, wie sie gekommen war – beinahe lautlos. Ihren Mann würdigte sie keines Blickes.
Maribel fühlte Agnes’ Schmerz wie ihren eigenen. Nie hätte sie sich von ihren Gefühlen derart hinreißen lassen dürfen.
»Verstehst du jetzt, warum ich fort muss?« Traurig suchte sie in seinem Gesicht nach einer Bestätigung. Sie hätte ihm nie zu nahe kommen dürfen. Alles war ein schrecklicher Fehler.
Er nickte schwer. »Morgen helfe ich dir, die Zeitschwelle zu finden. Aber was immer auch geschieht, Maribel: Ich liebe dich.«
Mit schnellen Schritten verließ er das Zimmer. Kurz darauf hörte Maribel, wie die Tür zu Agnes’ Schlafzimmer zuschlug.
Hastig ging sie nach draußen. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
XXVI
Aus den Schlafräumen drang das vertraute Schnarchen der Knechte, doch für Maribel war an Schlaf nicht zu denken. Trotz Friedrichs ausdrücklicher Anweisung, nachts das Gebäude nicht zu verlassen, schlüpfte Maribel durch die Hintertür. Kopflos hastete sie vorwärts. Weder spürte sie die Kälte, noch hatte sie Augen für den funkelnden Sternenhimmel. Ihr schlechtes Gewissen nahm ihr die Freude. Sie hatte Friedrich in seinem Zimmer aufgesucht, um Gewissheit über seine wahre Identität zu erlangen.
Doch um welchen Preis?
Sie hatte Agnes so schwer verletzt, wie eine Frau eine andere nur verletzen konnte. Sie hatte ihr den Ehemann genommen. Ohne dass sie ihrem eigenen Ziel auch nur im Ansatz näher gekommen war. Noch immer war sie sich nicht sicher, ob Boris und Friedrich ein und dieselbe Person waren.
Aber hast du in seinen Armen denn nichts empfunden?
Doch, schon.
Aber?
Es war nicht wie sonst. Ich habe ihn nicht erkannt.
Maribel blieb stehen. Sie seufzte schwer. Vermutlich würde sie nie
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