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Verlieb dich nie nach Mitternacht

Verlieb dich nie nach Mitternacht

Titel: Verlieb dich nie nach Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Kent
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sich zusammen.
    »Ich wusste nicht, dass er krank war.«
    Die Amme schüttelte unter Tränen den Kopf. »Es ging ihm gut.«
    Wie immer trug sie ihren eigenen Jüngsten auf dem Arm mit sich herum. Einem Impuls folgend kniff sie ihm in die Wange. Als er ungehalten zu brabbeln begann, atmete sie erleichtert auf.
    »Gegen elf letzte Nacht gab ich ihm zum letzten Mal die Brust. Ihm fehlte nichts.« Erschüttert vergrub Berta das Gesicht in der Hand.
    Beruhigend streichelte Maribel ihr über den Arm. »Niemand macht dir einen Vorwurf, Berta.«
    »Jemand muss den Arzt holen.«
    »Das kann nur der gnädige Herr entscheiden«, flüsterte Grete.
    *
    Agnes kauerte noch immer auf der obersten Treppenstufe. Jemand hatte ihr einen Becher mit warmer Milch und Honig zur Beruhigung in die Hand gedrückt, den sie nun achtlos zwischen den Fingern hielt. Vorsichtig nahm Maribel ihr das Trinkgefäß aus der Hand. Die Frau tat ihr unendlich leid.
    Wie musste ihr zumute sein? Ihr Mann begehrte eine andere Frau. Das Leben ihres Kindes verlosch nach kurzer Zeit wie eine Flamme im Wind. Lautlos und endgültig.
    Kaum merklich rückte Agnes von Maribel ab, klammerte sich an die Gitterstäbe des Geländers. Ihr Körper begann, sich im Takt einer unhörbaren Melodie zu wiegen.
    *
    Niemand konnte Agnes dazu bewegen, ihren Platz am Kopf der Treppe aufzugeben. Jan ritt Friedrich entgegen, um ihm die Nachricht vom Tod seines einzigen Kindes zu überbringen. Den Schock konnte auch er nicht verhindern. Friedrich brauchte seine ganze Kraft, um bei Verstand zu bleiben.
    Selbstverständlich musste der Arzt verständigt werden. Wenn er Wilhelm schon nicht mehr helfen konnte, dann wenigstens Agnes. Wie unfassbar traurig und verzweifelt musste sie sich fühlen. So schnell wie möglich wollte Friedrich bei ihr sein, um den Schmerz mit ihr zu teilen.
    »Gibt es hier einen Arzt?« Friedrichs verzweifelter Schrei trug seinen Schmerz bis tief in die Herzen der Soldaten. Für diese Männer besaß der Tod kaum noch einen Schrecken. Sie hatten schon zu viele sterben gesehen. Kameraden, Feinde, Zivilisten. Doch das Wissen, dass der Mann dort vor ihnen soeben seinen einzigen Sohn verloren hatte, trieb auch ihnen die Tränen in die Augen. Mit jedem Kind, das ein Mann begrub, starb auch ein Teil seiner Hoffnung auf Unsterblichkeit.
    Ein Offizier trat aus den Reihen des preußischen Husarenregiments hervor, das zur Einquartierung auf dem Isselshof bestimmt war.
    »Ich bin Arzt. Wenn Ihr wollt, reite ich mit Euch voraus.«
    Dankbar nickte Friedrich. Er übertrug Jan die Aufgabe, die neu einquartierten Soldaten zum Isselshof zu begleiten. Im Galopp ritt er mit dem Arzt voran. Zwanzig Minuten später erreichten sie den Hof.
    Maribel wartete vor dem Haus auf Friedrich. Er nahm sie kaum wahr.
    »Wo ist meine Frau?«
    »Agnes geht es sehr schlecht, Friedrich.« Ihre Blicke wanderten zu dem unbekannten Offizier an seiner Seite. »Sind Sie Arzt?«
    »Ja. Wo finde ich die Frau?«
    »Ich führe Euch.« Friedrich drängte an ihnen vorbei ins Haus.
    Maribel eilte ihm nach. »Sie sitzt immer noch auf der Treppe. Niemand kommt an sie heran.«
    Der Arzt musterte Maribel neugierig. Die junge Frau interessierte ihn. Sie umgab eine Aura, die ungewöhnlich für die Zeit war. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit auf die unglückliche Hausherrin gelenkt, die sich am obersten Absatz der Treppe wie eine Ertrinkende ans Geländer klammerte.
    Wie Blei lastete das Schweigen über dem Haus. Aus der Entfernung verfolgte Maribel, wie der preußische Militärarzt beruhigend auf Agnes einsprach. Sie war nicht der erste Schockpatient, den er behandelte. Doch selten war eine Frau darunter. Frauen waren seit Jahrtausenden an Tod und Schmerz gewöhnt. Nur selten benötigten sie seine Hilfe. Vielleicht fiel es leichter, den Tod zu akzeptieren, wenn man in der Lage war, neues Leben zu schenken.
    Die Frau vor ihm jedoch hatte sich in ihre eigene Welt geflüchtet. Mit schmerzverzerrtem Gesicht wiegte sie sich nach einer nur für sie hörbaren Melodie, als halte sie immer noch ihr Kind im Arm. Nur mit Mühe gelang es ihm, ihre Finger von den Gitterstäben des Geländers zu lösen. Als er es endlich geschafft hatte, klebte sein Hemd schweißnass an seinem Körper.
    »Kommt, ich begleite Euch auf Euer Zimmer.« Er hielt sie fest am Ellenbogen, um sie beim Gehen zu stützen. Als Friedrich auf der anderen Seite das Gleiche tun wollte, entzog Agnes ihrem Mann den Arm. Eine kleine Geste nur, die ihn umso mehr

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