Verlieb dich - Roman
ruhig mit rein. Wundere dich nicht, Tante Vi neigt zu hysterischen Anfällen, aber vielleicht ist sie leichter zu beruhigen, wenn du dabei bist.«
Sara zuckte die Achseln, stieg aus dem Jeep und folgte Rafe über einen kleinen Fußpfad zum Haus. Er klingelte und trat ein.
Die unverschlossenen Türen und die Tatsache, dass man überall jederzeit nach Belieben ein und aus gehen konnte, waren für Sara ein weiteres bemerkenswertes Detail des Lebens hier. Dieses Vertrauen, diese Nähe, das war wirklich ein eklatanter Unterschied zwischen Stadt und Land und hatte zweifellos zur Folge, dass man hier engere Freundschaften knüpfte und ein viel persönlicheres Verhältnis zueinander hatte. Das fehlte Sara in der Großstadt. Wenn sie erst einmal ihre Wohnung betreten hatte, konnte sie die Tür hinter sich zusperren und stunden-, tage- oder wochenlang niemanden sehen – je nach Laune.
»Tante Vi?«, rief Rafe.
»Ich bin im Wohnzimmer!«
Rafe führte Sara durch einen kleinen Vorraum, der direkt in ein gemütliches Wohnzimmer führte. Auf der
Couch saß eine ältere Dame mit grau meliertem Haar. Sie hatte sich eine Häkeldecke über die Knie gelegt; neben ihr stand eine Schachtel Kleenex.
»Ach, Rafe, lieb von dir, dass du vorbeischaust.« Sie schniefte und zwang sich zu einem Lächeln. Dann bemerkte sie Sara. »Oh! Mir war nicht klar, dass du jemanden mitbringen würdest!«
Sie sprang auf und strich sich über die ohnehin perfekt sitzenden Haare. Sie sah aus, als käme sie frisch vom Friseur – und als hätte dieser sein Werk mit etwa einer Tonne Haarspray fixiert.
»Tante Vi, das ist Sara Rios, eine Freundin aus New York. Sara, das ist meine Tante Vi.«
Sara schüttelte ihr die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen. «
»So, nun erzähl mal, was ist los?«, sagte Rafe. Er trat zu seiner Tante und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter.
Sie zerknüllte das Taschentuch, das sie in der Hand hielt. Es war offensichtlich, dass sie geweint hatte.
»Ich warte draußen im Auto.« Sara, die sich wie ein Eindringling vorkam, wandte sich zum Gehen.
»Nein, nein. Sie sind doch die Frau, die rund um die Uhr an Rafes Krankenbett gesessen hat, als er so schwer verletzt war, nicht? Mein Bruder hat mir schon erzählt, dass Sie in der Stadt sind. Sie gehören jetzt quasi zur Familie. Bitte bleiben Sie.«
Sara hob verwundert eine Augenbraue, als sie hörte, dass sie für Rafes Tante schon zur Familie gehörte. Im umgekehrten Fall hätte ihr Vater Rafe erst einmal einem
kleinen Kreuzverhör unterzogen, um herauszufinden, ob er ihn sympathisch fand oder nicht.
»Danke.« Sara nahm Platz und hielt sich still im Hintergrund, während Rafe seine Tante zur Couch führte und sagte: »Komm, setz dich … Was hast du denn auf dem Herzen, und warum hast du nicht Janice oder Judy angerufen?«
»Janice oder Judy sind meine Töchter«, erklärte Tante Vi, zu Sara gewandt, ehe sie sich wieder zu Rafe umdrehte. »Ich habe dich angerufen, weil du Polizist bist und weil du weißt, wie man bestimmte Dinge über bestimmte Leute herausfindet.«
Rafe kniff die Augen zusammen. »Was denn für Dinge? Und um welche Leute geht es?«
»Es geht um Pirro.« Tante Vi schniefte. »Er … Er … Er hat eine Affäre!«, heulte sie auf, dann zupfte sie ein weiteres Papiertuch aus der Box und schnäuzte sich geräuschvoll.
Rafe hatte Recht, seine Tante hatte definitiv einen Hang zur Hysterie. Ihr Wehklagen klang dermaßen theatralisch, dass Sara unwillkürlich am Wahrheitsgehalt ihrer Worte zweifelte.
Rafe war bei dem Wort Affäre heftig zusammengezuckt. Er ergriff die Hand seiner Tante. »Wie kommst du denn darauf?«, fragte er sanft.
Sara musste an die Affäre seines Vaters denken, von der Angel ihr erzählt hatte. Die Behauptung seiner Tante schien ihn tief getroffen zu haben. Sosehr sich Rafe auch über seine Verwandtschaft beschwerte, sie schien ihm doch sehr am Herzen zu liegen.
»In letzter Zeit ist Pirro abends ständig unterwegs«, schniefte Tante Vi.
»Wohin geht er denn?«, fragte Rafe.
Sie zuckte mit den Achseln. »Er erzählt jedes Mal eine andere Geschichte. Heute Abend zum Beispiel hat er behauptet, er würde Poker spielen, aber ich habe mich erkundigt, und die Frauen seiner Mitspieler sagen, ihre Männer seien zu Hause!«
Rafe klopfte ihr beruhigend auf die Hand. »Ich bin sicher, es gibt eine gute Erklärung dafür. Vielleicht ist er spazieren gegangen. Vielleicht wollte er sich bloß eine Zigarre genehmigen, wo er doch
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