Verliebt bis unters Dach Roman
alles zu zeigen. Wir sind Ihnen sehr dankbar.«
»Nun, ich musste eh herkommen und die Zimmer putzen«, erwiderte das Mädchen. Ihr Blick zuckte schüchtern zwischen den Schwestern hin und her.
Marilyn sah Liesel überrascht an. Auf ihrem Rundgang hatten alle Zimmer makellos sauber gewirkt.
»Aber alles sieht wunderbar aus. Die Zimmer sind außerordentlich sauber. Wir haben nicht festgestellt, dass irgendetwas geputzt werden müsste.«
Zu Marilyns Erstaunen schien Lorraines Gesicht nun, statt sich über dieses Kompliment zu freuen, vor Enttäuschung in sich zusammenzufallen, daher begann Liesel ihr ein paar Fragen
zu stellen, um den Druck zu nehmen, der sich plötzlich auf sie gesenkt hatte.
»Ist das Haus sehr alt? Es ist ja wirklich fantastisch! Sie arbeiten schon lange hier, nicht wahr? Wissen Sie ein wenig über seine Geschichte Bescheid?«
»Es wurde von einem exzentrischen viktorianischen Grafen, einem entfernten Vetter von Queen Victoria, für dessen Geliebte Elizabeth gebaut. Das Haus entstand im Jahre 1898, der Turm wurde fünf Jahre später gebaut. Es gibt ein Gerücht, dass sie ihn mit einem anderen Mann betrog, daher beauftragte er seinen Architekten, dass der Turm nur durch eine einzige Tür mit dem Haupthaus verbunden wurde, damit er sie jedes Mal einsperren konnte, wenn er sich in London bei seiner Frau aufhielt.« Lorraine klang so, als leierte sie einen oft verlangten Text herunter.
»Warum hat er sich nicht einfach von ihr getrennt?« Liesel schüttelte den Kopf »Wenn mich jemand betrügen würde, würde ich ihn aus dem Haus werfen und ihm nicht auch noch einen Turm bauen.«
»Sie war angeblich sehr schön«, seufzte Lorraine sehnsüchtig. »Männer reagieren auf schöne Frauen oft sehr seltsam.«
»Na, klingt für mich eher wie ein Gefängnis als ein Privileg«, meinte Marilyn und blickte mit einem leichten Schauder zu dem Gobelin, der die schwere Tür verdeckte.
»Das Haus war bis 1946 ein Wohnhaus. Dann wurde es zum Hotel umgebaut«, fuhr Lorraine mit ihrem gut geprobten Vortrag fort. »Die verstorbene Mrs. Hamilton übernahm es 1970 von dem früheren Besitzer und leitete das Hotel erfolgreich fast vierzig Jahre lang, bis sie natürlich...« Seufzend brach sie ab. »Bis sie...«, fuhr sie nach einem Moment fort, »... es ihrem Großneffen Alexander Hamilton vermachte.«
Liesel unterdrückte den Wunsch, in die Hände zu klatschen, denn sie nahm völlig zutreffend an, dass dies nicht im selben Sinne verstanden würde, wie es gemeint war, nämlich als Lob für diesen Vortrag.
»... der es hoffentlich erfolgreich mindestens eine Sommersaison leiten wird, weil es sonst an Godrich fallen würde«, platzte Liesel ohne zu überlegen heraus. »Und der wird es sicherlich nicht so gut machen, denn er ist ja ein Hund...«
Marilyn warf einen raschen Blick zu Lorraine, nicht sicher, ob Lorraine oder andere Angestellte von dieser sonderbaren Klausel in Nancys Testament wussten. Sie hatte vor, ihnen die Tatsachen mitzuteilen und die Wahl zu lassen, unter derart unsicheren Bedingungen zu bleiben oder nicht, aber da Lorraines Miene keinerlei Überraschung spiegelte, war klar, dass sie die Situation sehr wohl kannte. Sie ließ jedoch keine Bemerkung darüber fallen, sondern wandte sich einfach zu Marilyn und fragte: »Soll ich Ihnen im Büro nun alles zeigen?«
Marilyn schüttelte den Kopf.
»Das können wir doch in der Küche machen. Ich weiß nicht, was Sie möchten, aber ich hätte jetzt furchtbar gerne eine Tasse Tee.«
»Und ich eine Schüssel Coco Pops«, ertönte eine Stimme aus dem Turmeingang. Alex schlidderte auf den Socken über den glatten Boden und kam erst hinter ihnen grinsend zu einem abrupten Halt. Halb schüchtern, halb neugierig spähte er um seine Mutter herum zu Lorraine.
»Lorraine, das ist mein Sohn Alex. Alex, das ist Lorraine. Sie arbeitet hier.«
Alex lächelte Lorraine freundlich an, und zum ersten Mal zeigte sich der Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht.
»Ich fürchte, Coco Pops haben wir nicht, dafür aber Cornflakes oder Toast mit Marmelade.«
»Dann entscheiden wir uns alle für Toast mit Marmelade und Tee«, beschloss Liesel. »Kommt mit, ich versorge euch schon.«
Die Küche hatte professionelle Ausmaße und war wie der Rest des Hauses makellos sauber.
»Ich habe alles so gehalten, wie Mrs. Hamilton es gewollt hätte«, sagte Lorraine, nahm automatisch ein Tuch in die Hand und wischte einen imaginären Schmutzfleck von der polierten
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