Verliebt in die verrückte Welt - Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe
Wahlreformen und dergleichen den Fortschritt zu machen
meinen, während sie nur um Jahrhunderte hinter den Gedanken der Geistigen nachhinken und im kleinen das eine oder andere von deren Ahnungen und
Gedanken zu verwirklichen streben. So ist ein Politiker, welcher den ewigen Frieden erstrebt, eine von den tausend Ameisen, die am Wahrwerden eines
uralten Traumes arbeiten. Schöpfer des Traums aber war jener Geist, der vor einigen tausend Jahren zum ersten Male die mächtigen Worte träumte: »Du
sollst nicht töten!« – etwas, was es in all den Millionen von Jahren auf Erden nie gegeben hatte, und was seither wie Sauerteig in der Menschheit
wirkt, bis sie auch das einmal erreicht hat, so wie sie den aufrechten Gang und die glatte Haut erreichte.
Aus »Phantasien«, 1918
W as Ihre Unruhe und Besorgnis wegen Ihrer eigenen Natur und Ihrer Tauglichkeit fürs Leben betrifft, so möchte ich Ihnen Mut und Glauben zusprechen. Natürlich gibt es sehr viele Menschen, denen das Leben leichter fällt und die scheinbar oder wirklich »glücklich« sind; es sind die nicht stark Individualisierten, die keine Probleme kennen. Sich mit ihnen zu vergleichen hat für uns andere keinen Sinn; wir müssen unser eigenes Leben leben, und das bedeutet etwas Neues und Eigenes, immer Schwieriges und auch immer Schönes für jeden Einzelnen. Es gibt keine Norm für das Leben, es stellt jedem eine andre, einmalige Aufgabe, und so gibt es auch nicht eine angeborene und vorbestimmte Tauglichkeit zum Leben, sondern es kann der Schwächste und Ärmste an seiner Stelle ein würdiges und echtes Leben führen, und andern etwas sein, einfach dadurch daß er seinen nicht selbstgewählten Platz im Leben und seine besondere Aufgabe annimmt und zu verwirklichen sucht. Das ist echtes Menschentum und strahlt immer etwas Edles und Heilendes aus, auch wenn der Träger dieser Aufgabe in den Augen aller ein armer Teufel ist, mit dem man nicht tauschen möchte.
Geben Sie sich nicht abschätzigen Selbstprüfungen und Selbstkritiken hin. Man kann eine einzelne Handlung, die man bereut, wohl kritisch und
verurteilend betrachten, das ist nur recht; aber man soll nicht sich selber, so wie man in die Welt gestellt worden ist, abschätzig beurteilen,
sondern erst einmal das, was man von Gott mitbekommen hat an Gaben und an Mängeln annehmen, Ja dazu sagen, und versuchen, das Beste daraus zu
machen. Gott hat mit jedem von uns etwas gemeint, etwas versucht, und wir sind seine Gegner, wenn wir das nicht annehmen und ihm helfen, es zu
verwirklichen.
Aus einem Brief von 1941 [?]
W enn man Freude an einer produktiven Arbeit hat, dann lebt man aus dem Vollen, auch wenn es einem sonst
mäßig geht.
Aus einem Brief vom 10. Januar 1929
E s kommt, wenn ein Mensch das Bedürfnis hat, sein Leben zu rechtfertigen, nicht auf eine objektive, allgemeine Höhe der Leistung an, sondern eben darauf, daß er sein Wesen, das ihm Mitgegebene, so völlig und rein wie möglich in seinem Leben und Tun zur Darstellung bringe.
Tausend Verführungen bringen uns beständig von diesem Wege ab, aber die stärkste aller Verführungen ist die, daß man im Grunde ein ganz andrer sein möchte als man ist, daß man Vorbildern und Idealen folgt, die man nicht erreichen kann und auch gar nicht erreichen soll. Diese Verführung ist darum für höher veranlagte Menschen besonders stark und gefährlicher als die vulgären Gefahren des bloßen Egoismus, weil sie den Anschein des Edlen und Moralischen hat.
Jeder Bub hat in einem gewissen Alter einmal Fuhrmann oder Lokomotivführer, dann Jäger oder General, dann ein Goethe oder ein Don Juan werden wollen,
das ist natürlich und gehört mit zur natürlichen Entwicklung und Selbsterziehung: die Phantasie tastet gewissermaßen die Möglichkeiten für die Zukunft
ab. Aber das Leben erfüllt diese Wünsche nicht, und die kindlichen und jugendlichen Ideale sterben von selber ab. Und doch wünscht man sich immer
wieder etwas, was einem nicht zusteht, und quält sich mit Forderungen an die eigene Natur, die ihr Gewalt antun. Es geht uns allen so. Aber
zwischenein, in Stunden des inneren Wachseins, spüren wir immer wieder, daß es keinen Weg aus uns heraus und in etwas anderes hinein gibt, daß wir mit
unsern eigenen, ganz persönlichen Gaben und Mängeln durchs Leben hindurch müssen, und dann geschieht es wohl zuweilen auch, daß wir ein Stückchen
weiterkommen, daß uns etwas glückt, was wir vorher nicht konnten, und daß wir
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