Verliebt in eine Kidnapperin?
Trost, und manchmal fragte er sich, ob es nicht Lily war, die ihm einen Halt gab, statt umgekehrt.
Lily war immer ein besonderer Mensch gewesen – ebenso stark wie verletzlich. Er wusste nicht, was er mehr an ihr bewunderte oder warum er sich ihr so nahe fühlte, aber auf eine gewisse Weise, die er nicht genauer erklären konnte, stellte sie eine Verbindung zu seiner Mutter dar, die er schrecklich vermisste.
War es das, was auch seinen Vater zu Lily hinzog? Dass sie ihn seinen schmerzlichen Verlust vergessen ließ?
Woher nahm Lily den Optimismus, an Williams Rückkehr zu glauben, während Jeremy immer mehr von Zweifeln geplagt wurde und allmählich das Schlimmste befürchtete?
Hatte ihr ein Traum etwas anderes gesagt? Hatte sie Vorahnungen?
Unter normalen Umständen hätte er sie nicht danach gefragt, aber sein Traum – und die Verabredung mit Kirsten sowieso – waren noch zu frisch in seiner Erinnerung. Also nahm er allen Mut zusammen.
„Kann ich dich etwas fragen, Lily?“
Lächelnd schaute sie von ihrer Teetasse auf. „Selbstverständlich.“
„Hast du jemals einen Traum gehabt, der sich erfüllt oder der dir etwas über die Zukunft verraten hat?“
„Warum fragst du?“
„Weil ich kürzlich einen Traum hatte. Darin habe ich eine Frau gesehen, der ich nie zuvor begegnet bin. Ihr Gesicht habe ich nicht genau erkennen können, aber ihre Haarfarbe und ihr Profil. Am nächsten Tag habe ich sie dann tatsächlich getroffen – oder jemanden, der sie hätte sein können.“
Lily, die Teetasse noch immer in der Hand, legte den Kopf schräg. Ihrem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass sie hinter Jeremys Geschichte mehr als ein zufälliges Treffen vermutete.
„In dem Traum hatte ich das Gefühl, verheiratet zu sein“, fuhr er fort. „Außerdem war ich so glücklich wie noch nie zuvor in meinem Leben. Als ich dann dieser Frau am nächsten Tag begegnete, hat mich das doch ziemlich verwirrt.“
„Hast du mit ihr gesprochen?“
Er nickte.
„Wie heißt sie denn?“
„Kirsten.“
Lily beugte sich vor und stellte die Teetasse auf den Tisch zurück. „Vielleicht solltest du sie mal einladen.“
Jeremy lächelte. „Genau das habe ich heute Abend getan.“
Lily schaute ihn erwartungsvoll an. „Und?“
„Ich habe mich sehr wohlgefühlt und würde am liebsten noch mal mit ihr ausgehen.“
Lilys Lächeln erstarb. „Wieso habe ich das Gefühl, dass es da ein Problem gibt?“
„Weil ich eine Praxis in Sacramento habe und nicht für immer in Red Rock bleibe.“
Es wurde still im Raum, als beiden gleichzeitig bewusst wurde, was ihn in der Stadt hielt. Schließlich sagte Lily: „Im Moment dreht sich dein ganzes Leben ausschließlich um deinen Vater, Jeremy. Ich weiß das sehr zu schätzen. Aber befürchtest du nicht, dass es langfristig Auswirkungen auf deine Praxis hat, wenn du zu lange fortbleibst?“
„Ich habe mich aus mehreren Gründen beurlauben lassen“, gestand er. „Ich brauche auch Zeit, um einmal in aller Ruhe über mein Leben nachdenken zu können.“
Lily lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Schoß. „Und welche Rolle spielt Kirsten in dieser Angelegenheit?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber wenn ich so über sie nachdenke, habe ich das Gefühl, dass aus dieser Bekanntschaft … etwas werden könnte. Na ja, auf jeden Fall wird sie mein Leben komplizierter machen.“
Allein ihr zu begegnen hatte sein Leben bereits kompliziert genug gemacht.
„Das klingt nach etwas Ernstem“, meinte Lily.
„Wenn du etwa Liebe meinst – es ist viel zu früh, um daran überhaupt zu denken. Ich finde sie natürlich attraktiv, aber es ist mehr. Sie fasziniert mich, und ich fühle mich sehr zu ihr hingezogen.“
„Das klingt für mich nach Liebe auf den ersten Blick.“
Jeremy schüttelte langsam den Kopf. „Nein, das kann es nicht sein.“
„Ich war zweimal in meinem Leben verliebt“, gestand Lily. „Ich weiß also ganz gut, wie unerklärlich dieses Gefühl sein kann.“
„Liebe ist es nicht“, beharrte Jeremy. Unmöglich, dass es nach dieser kurzen Zeit schon so intensiv sein konnte. „Ich kenne sie ja kaum.“
Aber das, sagte ihm eine innere Stimme, ließ sich ja ändern.
Am nächsten Tag entschloss Kirsten sich, einige der Kisten auszupacken, die seit ihrem Umzug in dieses Haus unberührt im Schrank standen. Max war wieder auf Arbeitssuche, und Anthony lag in seinem Bettchen.
Als Erstes fiel ihr ein Karton mit Büchern und Heften aus ihrer Collegezeit in die
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