Verliebt in eine Kidnapperin?
waren immer sehr gut zu ihm – und zu seinen Brüdern – gewesen. Deshalb war es für ihn selbstverständlich, so lange für Lily da zu sein, bis sie erfuhr, was mit William geschehen war.
Er öffnete die Haustür und rief: „Lily? Ich bin zurück.“
Die Frau, die inzwischen seine Stiefmutter hätte sein sollen, antwortete: „Ich bin im Salon.“
Er folgte ihrer Stimme. Lily saß in einem der handgefertigten Ledersessel. Vor ihr auf einem Glastisch stand ein Teegedeck.
Ihre Züge hellten sich auf, als er ins Zimmer kam. „Wie war dein Tag?“
„Fantastisch.“ Er hatte nicht nur mit Kirsten zu Abend gegessen, sondern mit seinem Ratschlag und Expertenwissen dafür gesorgt, dass ein kleiner Junge sein Bein behalten konnte. „Und deiner?“
„Ganz okay.“
Jeremy war sich im Klaren darüber, dass nichts mehr „okay“ sein würde, solange William Fortunes Schicksal im Dunkeln lag.
„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Lily. „Ich kann dir einen Tee machen. Oder willst du etwas Stärkeres? Bourbon und Scotch stehen in der Bar.“
„Danke, aber ich hole mir nur etwas Wasser.“
Kurz darauf kehrte Jeremy mit einem Glas in der Hand zurück und setzte sich seiner Tante gegenüber.
Mit ihren fünfundsechzig Jahren war Lily immer noch eine sehr attraktive Frau. Ihre hohen Wangenknochen und die dunklen Augen kündeten von ihren indianischen und spanischen Wurzeln. Sie war eine geradezu exotische Schönheit.
„Mir gefällt es gar nicht, dass du den ganzen Tag allein bist“, sagte Jeremy. Sie verließ das Haus kaum noch, weil sie in der Nähe des Telefons sein wollte, falls William sich meldete oder die Polizei anrief, wenn es Neuigkeiten von ihm gab.
Lily goss noch etwas Tee in ihre hauchdünne Porzellantasse. „Es ist doch immer ein Farmarbeiter in der Nähe. Und Rosita ist auch ganz schnell hier, wenn es nötig sein sollte. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“
Ruben und Rosita Perez wohnten in einem Dreizimmerhaus, das etwas entfernt von der Ranch lag. Ohne die beiden hätte Jeremy niemals ruhigen Gewissens ehrenamtlich in der Klinik arbeiten können.
Er stellte das Wasserglas auf einen Untersetzer und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, der im traditionellen Westernstil eingerichtet war. Das Ledersofa und die Sessel waren ziemlich neu, aber der Rest der Möbel – die bemalten Schränke, der lange Esstisch aus Eiche und die Stühle mit den hohen Lehnen, die Bücherregale und die Kunstgegenstände aus Ton – waren antike Stücke, deren spanischer Einfluss unverkennbar war.
An den Wänden hingen farbenfrohe Gemälde und handgemachte Teppiche, die ausnahmslos von regionalen Künstlern stammten. Einer der Gobelins war ein Geschenk von Isabella, der Frau von J.R. Sie hatte ihn selbst gewebt. Die beiden hatten ihr Haus ebenfalls ganz im spanischen Stil eingerichtet. Jeremy hatte zuerst bei ihnen gewohnt.
Erst nach dem Verschwinden seines Vaters war er zur Double Crown Ranch gezogen, damit Lily nicht allein war, während sie auf Williams Rückkehr oder zumindest ein Lebenszeichen von ihm warteten.
Vor sechs Jahren war Lilys Mann Ryan an einem Tumor gestorben; zwei Jahre später war William Witwer geworden, als Molly starb. Lily und William waren schon immer Freunde gewesen und hatten einander beigestanden, um über den Verlust des geliebten Menschen hinwegzukommen.
Mit der Zeit war ihre Freundschaft enger geworden, und irgendwann hatten sie sich ineinander verliebt.
Jeremy war sehr froh gewesen, als er von ihren Heiratsplänen erfuhr. William und Lily hatten ihr Glück verdient. Er gönnte es ihnen von Herzen, wenn sie ihre goldenen Jahre gemeinsam verbringen könnten.
Doch nun war Lily wieder allein – jedenfalls fürs Erste –, und sie tat Jeremy sehr leid.
Während er schweigend neben ihr saß und über die Verluste nachdachte, die er in den vergangenen sechs Jahren erlitten hatte, fragte er sich, ob er nicht doch einen Drink zu sich nehmen sollte.
Natürlich konnte keine Rede davon sein, dass er seinen Vater wirklich verloren hatte – jedenfalls so lange nicht, bis sie seine Leiche fanden –, aber es fiel ihm von Tag zu Tag schwerer, noch daran zu glauben, dass er eines Tages wieder nach Hause kommen würde und die Hochzeit stattfinden konnte.
„Wir werden ihn schon finden“, hatte Lily immer wieder behauptet. „Ich kann nicht sagen, woher ich das weiß, aber ich bin davon überzeugt, dass er noch am Leben ist.“
Ihr unerschütterlicher Glaube war Jeremy ein
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