Verliebt in einen Gentleman
sich gerade weg. Ich sehe dunkle Locken über breiten Schultern, die jetzt die Brücke herunter verschwinden.
Mist, Mist!, denke ich jetzt wieder. Das war Ethan. Anscheinend hat er das ganze Theater mitbekommen. Was soll er nun von mir halten?
Ich zupfe meine Kleidung wieder zurecht und setze mich sehr gerade auf die Bank.
„Du übernimmst ab sofort wieder das Ruder“, sage ich streng zu Jens. „Am besten drehst du um und wir fahren zurück zum Anleger. Ich habe jetzt genug von diesem Abenteuer.“
Er wirkt etwas geknickt, aber tut was ich sage.
„Schade“, sagt er, „mir hat es gerade angefangen, so richtig Spaß zu machen.“
„Ja, kann ich mir denken“, sage ich mürrisch, wobei ich mehr an seine Umarmung denke, als an das eigentliche Bootfahren.
Er grinst schuldbewusst. „Ich fand das gerade sehr nett. Hast du wirklich keine Lust, uns noch einmal ins Schwanken zu bringen?“
„Absolut nicht“, sage ich schroff und starre wütend vor mich hin.
Erst nach einer Weile blicke ich wieder zu ihm hin. Wieder muss ich aufpassen, dass ich meine Reserve nicht fallen lasse. Jens sieht herzzerreißend traurig aus. Du meine Güte, er scheint mich wirklich sehr zu mögen.
Ich seufze. Irgendwie kommt das Ganze mir vor, wie in Shakespeares „Mitternachtstraum“, wo jeder einen anderen liebt, aber keine zwei sich gegenseitig, so dass es nur Irrungen, Wirrungen und eine Menge Herzleid gibt.
Andererseits denke ich jetzt: Wer sagt, dass es bei mir so ist. Bin ich nicht auf dem besten Wege, genau den Mann zu lieben, der mich auch liebt? Es gibt allerhand Anzeichen, dass es so sein könnte. Ethan hat mittlerweile so viele Bemerkungen in diese Richtung gemacht.
Ich muss mit Vorfreude schon an das schöne Essen heute Abend im Trinity College denken, und bekomme auf der Stelle wieder gute Laune.
Jens merkt es sofort und sagt: „Hach, so gefällst du mir wieder besser, Lea. Jetzt bist du wieder ganz die Alte. Ich liebe es, wenn du so vergnügt aussiehst – genau wie damals in Hohensyburg. Es hätte auch überhaupt nicht zu dir gepasst, wenn dieses kleine Missgeschick dich aus der Bahn geworfen hätte.“
Ich gestehe, in dem Moment muss ich wieder daran denken, wie wir eben noch durch das Boot gepurzelt sind. Irgendwie war die Situation schon sehr komisch. Ich beginne zu kichern, und kurz darauf lachen wir beide wieder herzlich.
„Wenigstens sind wir nicht in das Wasser gefallen“, gluckse ich. „Wie peinlich wäre das denn gewesen?“
Jens nickt vergnügt. Dann sagt er: „Eigentlich habe ich jetzt schon wieder etwas bei dir gut, schließlich habe ich dich davor gerettet, ein unfreiwilliges Bad zu nehmen.“
„So siehst du aus“, rufe ich empört. „Dir werde ich es schon zeigen.“
Ich wackle extra mit meinem Körper hin und her, um das Boot zum Schaukeln zu bringen, doch Jens ist erstaunlich geschickt. Zwar kann er sich vor Lachen kaum halten, aber ins Wasser fällt er nicht.
Heiter gestimmt kommen wir zum Bootsverleih zurück.
Als wir das Boot abgegeben haben, sage ich Jens: „Danke, das war wirklich nett, dass du mit mir die Bootsfahrt gemacht hast.“
Wir stehen einander gegenüber und sehen uns etwas ratlos an. Und jetzt? Ich kann doch nicht einfach „Tschüss“ und „Ade“ sagen, obwohl ich das eigentlich vorhatte.
Jens sagt: „Willst du mir nicht wenigstens heute noch die Freude machen, und den Tag mit mir verbringen? Ich verspreche dir, dass ich dann aus Cambridge abreise und dich nicht mehr behellige. Irgendwie wäre es doch blöd, wenn wir jeder alleine durch die Stadt ziehen würden, oder?“
Natürlich hat er recht.
Also schlage ich vor, dass wir in das Museum gehen, von dem Ethan erzählt hatte.
Wie sich bald herausstellt, ist es wirklich sehenswert. Jens und ich verbringen fast zwei Stunden darin und bewundern die vielen Exponate, die viel über die Geschichte der Stadt und der Gegend berichten.
„Ich finde das hier ungeheuer spannend“, teile ich Jens mit, „denn so Vieles, über das ich in meiner Examenslektüre zur Zeit lesen muss, wird mir durch dieses Museum viel deutlicher. Zum Beispiel lese ich gerade ein Buch von Thomas Hardy. Der hat gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts gelebt und ihm war es ein Anliegen, viele Bräuche und Sitten, die zu der Zeit durch die Industrialisierung in Vergessenheit zu geraten drohten, mit Hilfe seiner Bücher zu konservieren. So manches aus seinen Büchern begreife ich auf einmal viel besser.“
Jens sieht mich von der Seite an.
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