Verliebt in einen Gentleman
„Du bist ganz schön klug, Lea“, sagt er. „Ich bewundere dich dafür, dass du dich in deine Arbeit so hineinvertiefst.
Ich verstehe leider nicht viel von englischer Literatur. Dafür war mein Englisch nie gut genug.“
Ich spüre, wie seine Bewunderung mir gut tut. Manchmal habe ich mich schon gefragt, ob meine Vorliebe für die englische Literatur nicht etwas von Orchideen-Fach hat. Aber so wie Jens darüber spricht, wird es wieder zu etwas Tollem, Spannenden.
Ich erkläre ihm anhand der Bilder an den Wänden oder der Gegenstände in den Schaukästen, was ich meine, und an welche Bücher mich das erinnert. Er hört aufmerksam zu und scheint echt interessiert zu sein, und wenn nicht, kann er überzeugend so tun, als ob es so sei.
Auf dem Weg vom Museum zur Innenstadt kommen wir an einer kleinen Kirche vorbei, die auf einem niedrigen Hügel steht.
„Schau, was ist das hier für eine lustige, kleine Kirche?“, sage ich. „Komm, wir gucken, ob sie offen ist.“
Tatsächlich kann man dort eintreten. Die Kirche ist winzig klein und hat nur Platz für drei Kirchenbänke. Ein Schild an der Wand erklärt dem Gast, dass die Kirche dem Heiligen Petrus geweiht und „redundant“ ist, also nicht mehr genutzt wird, aber als historisches Kleinod weiter erhalten bleibt. Da ist auch zu lesen, dass der Besucher gegen eine Spende in den Opferstock am Glockenstrang ziehen, und sich dabei etwas wünschen darf.
„Oh, das ist toll, das machen wir“, sage ich gleich. Ich will schon eine Münze herauskramen, aber Jens kommt mir zuvor.
„Ich spendiere dir einmal Läuten“, sagt er.
Ich werfe die Münze in den Opferstock und gehe in den kleinen Erker, über dem sich der Glockenturm befindet.
Da nehme ich das Glockenseil fest in meine Hände, schließe meine Augen und ziehe daran. Dabei wünsche ich mir innerlich: „Lieber Gott, bitte mach, dass ich den richtigen Mann fürs Leben finde. Den, den ich richtig glücklich machen kann, und der mich auch glücklich macht.“
Der Glockenklang ist voller und tiefer, als ich es erwartet hätte. Wunderschön.
Jens fragt: „Und? Was hast du dir gewünscht?“
„Sag ich nicht. Das darf man nicht weitersagen, sonst tritt es nicht ein“, sage ich nur.
Jens wünscht sich jetzt auch etwas und zieht am Glockenstrang.
Dabei sieht er ganz nachdenklich aus, als ob dies für ihn keine Spaß wäre, sondern ernst.
Ich frage gar nicht, was er sich gewünscht hat, denn ich kann es mir sowieso denken. Pech für ihn. Leider passen unsere Wünsche halt nicht zusammen, denke ich zynisch.
Wir treten wieder hinaus und blinzeln in das Tageslicht.
„Sollen wir jetzt etwas essen gehen?“, fragt Jens.
Oh-oh. Das bedeutet, sich unweigerlich an einem Tisch gegenüber zu sitzen und in die Augen zu schauen, denke ich wieder. Aber meine Magen knurrt. Also knicke ich ein und sage: „Ja“.
Wir entdecken ein süßes Café in der Innenstadt, wo es kleine Mittagsmahlzeiten gibt, die man an weißgedeckten, runden Tischen hinter Butzenscheiben einnimmt. Dabei kann man die Fußgänger betrachten, die auf der Straße vorbei eilen. Tatsächlich sitzen Jens und ich uns weniger gegenüber und sehen uns in die Augen, sondern genießen es, die Leute zu beobachten und uns zu überlegen, was sie so machen und wo sie wohl hin wollen. Ein bisschen gutmütiges Geläster ist auch dabei.
Erst essen wir jeder einen Teller Suppe.
Wir fühlen uns hier so wohl, dass wir anschließend noch einen Kaffee trinken. Und dann noch einen. Und dann einen Scone mit Erdbeerkonfitüre und clotted cream.
Irgendwann schaue ich auf meine Uhr und sage: „Es wird Zeit. Ich muss jetzt nach Hause.“
Jens fragt traurig: „Wirklich? Warum? Was wartet in deinem Quartier auf dich?“
Ehrlich gesagt, nichts. Bis zum Abend dauert es noch eine Weile. Auf Abstellkammer und unordentliche WG habe ich nicht wirklich Lust.
Also sage ich: „Na gut, dann lass uns noch ein bisschen durch die Stadt bummeln.“
Wir bezahlen, das heißt: Jens bezahlt – ich finde es rührend, wie er sich alle Mühe gibt, dass seine Gegenwart mir nicht zur Last wird – und verlassen das Lokal. Wir bummeln an den Colleges vorbei und bewundern ihre prächtigen Fassaden. Alle liegen entlang dem Cam. Sie spiegeln sich im Wasser und sind gleich doppelt schön. Zwischen den Gebäuden befinden sich auch enge Gassen, wie im Mittelalter. Hier muss es auch eine Musikhochschule geben. Aus angelehnten Fenstern hört man, wie Musik geübt wird. Aus einem hört man
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