Verliebt in einen Gentleman
mir ein paar feste Schuhe an, schlüpfe in den Regenmantel und nehme mir einen Schirm mit. Dann klingle ich an der Haustür des Nachbarhauses. Dort wohnt ein betagtes Ehepaar mit einem fast eben so alten schwarzen Labrador. Neulich habe ich mich mit dem Mann über den Gartenzaun unterhalten, und der hat gesagt, dass ihr Hund viel zu wenig Bewegung hätte, weil sie dafür zu alt seien. Ich hatte angeboten mit Sniff, so heißt der Hund, auch einmal Gassi zu gehen.
Eine halbe Stunde später kleben meine Schuhe voll Dreck und Matsch. In Gatingstone gibt es mehrere „Public Footpaths“, öffentliche Durchgangswege, die noch aus dem Mittelalter stammen. So einer geht dicht bei den Lanes los, und ich wollte ihn schon immer erkunden. Was ich jedoch nicht geahnt hatte, jetzt aber erfahre, ist, dass diese Wege sehr abenteuerlich sein können. Es geht durch dichtes Brombeergestrüpp, über Hecken und Gräben und ruhig auch quer über ein frisch gepflügtes Feld. Sniff findet die Veranstaltung einfach nur herrlich. So alt wie er ist, lebt er auf einmal auf und zieht freudig an der Leine, so dass ich eher jogge, als dass ich wandere.
Während dieser Tour muss ich natürlich immer wieder an Ethan denken. Was er wohl heute bei diesem Mistwetter macht? Trifft er sich mit Freunden? Besucht er ein Museum? Liest er ein Buch und, wenn ja, was für eins? Was treibt er in seiner Freizeit? Ich überlege, dass ich eigentlich über den Mann, nach dem ich mich sehne und zu dem ich gerne gehören möchte nicht wahnsinnig viel weiß. Es liegt wohl daran, dass er so zurückhaltend ist und wenig spricht, geschweige denn von sich selbst. Es ist gerade diese geheimnisvolle Aura, die ihn so anziehend macht. Dabei weiß Ethan schon so viel über mich. Er hat viel Scharfsinn und hat mich schon durchschaut. Er weiß, dass ich spontan, leichtsinnig und auch manchmal recht naiv sein kann. Hoffentlich gelingt es mir, ihn trotz dieser meiner persönlichen Fehler, für mich einzunehmen.
Ich liefere Sniff wieder der Haustür ab. Sein Frauchen sieht den dreckverkrusteten Hund und haucht nur: „Oh!“, bevor sie davon eilt, um einen Lappen zu holen. Sie verabschiedet mich, ohne sich nennenswert für die Hunde-Bewegung zu bedanken. Ich kann mir denken, warum.
Und was jetzt? Ich beschließe zur kleinen Bücherei am Marktplatz zu gehen, den Laptop sorgfältig in eine wasserdichte Tasche verpackt. Dort kann man mit kostenlosem WLAN ins Netz. Mir fehlt mein regelmäßiges Surfen schon ganz schön. Ob ich bei dieser Alice wohl auch einen Internetanschluss bekomme?
In der Bücherei sitzt ein ergrauter Herr hinter der Theke und hebt nur kurz seinen Kopf, um mir über seine Lesebrille kurz zu zu nicken, bevor er sich wieder in sein Buch vertieft.
Im hinteren Bereich setze ich mich an einen Schreibtisch, werfe den Mantel über die Lehne, klappe meinen Laptop auf und versinke im Internet.
Erst lese ich meine Mails, ziemlich viele, allerdings hauptsächlich Werbung, die ich gleich lösche.
Ich schreibe eine Mail an meine Eltern. Dabei erwähne ich auch, dass ich eventuell umziehen werde. Dann google ich Alice Hunstead. Es schadet nicht, sich darüber zu informieren, bei wem man demnächst wohnen möchte. Dabei entdecke ich, dass Alice offensichtlich einen ziemlichen Karriereschwenk gemacht hat, seitdem sie aus dem Polizeidienst ausgetreten ist. Anscheinend besitzt sie eine angesagte Parfümerie direkt in der Bond Street. Die Homepage wirkt sehr edel und exklusiv. Nicht schlecht.
Dann gehe ich zu Facebook. Darin finde ich das übliche Sammelsurium an Postings und Nachrichten. Meine WG Mitbewohner haben einige Partyfotos eingestellt. Ich erkenne unser gemeinsames Wohnzimmer. Auf der Couch schmiegt sich Marc an eine mir unbekannte Schönheit und schwenkt eine Bierflasche. Im Hintergrund tanzen ein paar Leute, darunter erkenne ich Lisa. Sie scheinen richtig Spaß zu haben. Noch mehr Bilder mit lachenden, tanzenden Leuten. Sie geben mir einen kleinen Stich. Ich scheine da ja etwas zu verpassen. Hier in der kleinen Bibliothek im englischen Dorf steppt nicht gerade der Bär. Vielleicht sollte ich Catherine mal fragen, ob sie Lust hat, mit mir mal nach London zu fahren. Dort gibt es sicher richtig tolle Szene-Diskos. Doch dann fällt mir ein, dass Ethan weder vom Tanzen, noch von wilder Ausgelassenheit etwas hält. Ich wollte mir doch Mühe geben, gesetzter und erwachsener zu werden.
„Tanz du nur weiter“, flüstere ich der Lisa auf dem einen Bild zu, „dein
Weitere Kostenlose Bücher