Verliebt in einen Unbekannten
Kohlehydraten aus«, versicherte ich ihm. »Du weiÃt gar nicht, wie dankbar ich dir bin, Bowes. Für das Essen, für deine Hilfe bei First Date Aid, für alles.« Ich öffnete ein Dialogfenster und fing an, Joannas Antwort an den armen alten Iain zu tippen.
»Das ist doch das Mindeste, was ich für dich tun kann«, sagte Sam nach einem kurzen Augenblick. »Ich weiÃ, dass ich dir oft ein Dorn im Auge bin, Chas. Unordentlich, chaotisch, Weiberheld, immer in Verzug mit der Miete.«
Ich sah ihn überrascht an. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Sam zu solch einer Selbstwahrnehmung fähig war.
»AuÃerdem«, fügte er hinzu, »genieÃe ich es. Es ist gut, etwas zu tun zu haben.«
Er wandte sich abrupt um, und ich spürte einen Moment die Melancholie, die von ihm ausging. Natürlich war es schön für ihn, etwas zu haben, mit dem er sich beschäftigen konnte. Das Fringe Festival mit all seinen lärmigen Schauspielern, die sich auf der Royal Mile volllaufen lieÃen, war für diesen Sommer vorbei, und er hatte seit zwei Jahren nicht mal ein Vorsprechen gehabt. Hätte ich nicht mein neues Unternehmen gegründet, wäre ich wahnsinnig geworden â wie musste es da erst ihm gehen, nach Jahren ohne ein Engagement? Als er das Omelett aus der Pfanne kratzte, versuchte ich mit geballter mentaler Kraft, einen Theaterdirektor dazu zu bringen, dem Abhilfe zu schaffen.
Ich wandte mich wieder meinem Bildschirm zu, und ohne groà nachzudenken oder mich vorzubereiten, verfasste ich Joannas Antwort an Iain. Wieder staunte ich, wie leicht mir das Flirten doch fiel: Ich legte nur die Hand auf die Tastatur, und schon flossen die Worte förmlich aus mir heraus. Natürlich lag das nicht zuletzt am jahrelangen Training. Ich hatte unzählige Flirty-Mails und -Textnachrichten an John verfasst.
Ach, Iain. Ich verstehe, wie dringend das Ganze für dich ist. Das ist doch nur menschlich ⦠Aber Vorsicht! Vielleicht sehe ich ja aus wie ein FleischkloÃ. Wie würde dir das gefallen? Wenn du bereit bist, das Risiko einzugehen, könnten wir uns nächste Woche Mittwoch treffen â in einer Anmachkneipe von mir aus, dann fühlst du dich gleich heimisch. Ich freue mich schon.
Jo X
»Perfekt«, sagte Sam, der über meine Schulter hinweg mitgelesen hatte. »Frech. Nimmt sich nicht zu ernst ⦠Bekundet Interesse, hält ihn aber trotzdem hin. Chas, meine Gute, du bist der Hammer!«
Er rauschte ab, um den grauenhaften Fraà auf meinen Teller zu schaufeln, und ich warf einen Blick in den Spiegel. Mal schauen, wie der Hammer des Abends aussah. Eine adrette, halbwegs gepflegte junge Frau blickte mir entgegen, das Gesicht umrahmt von einem ordentlich geschnittenen braunen Bob mit einem übertrieben geraden Pony. Sie war groÃ, sportlich, und sie konnte erkennen (heute, aber keineswegs immer), dass sie ziemlich attraktiv war.
»Du machst schon wieder dein komisches Spiegelgesicht!«, kicherte Sam vom Herd aus.
Ich zuckte zusammen, wohl wissend, dass er recht hatte. Mein Spiegelgesicht sollte mich klug und interessant wirken lassen, doch in Wirklichkeit lieà es mich beängstigend aussehen und ein wenig so, als litte ich unter Verstopfung. Ich wusste das, weil ich es wiederholt auf Fotos aufgesetzt hatte, stets ohne Erfolg. »Ãhm, wie gehtâs Yvonne?«, fragte ich, eifrig darauf bedacht, von mir abzulenken. »Ich habe sie seit â ähm, wie lange ist das jetzt her? â drei Tagen nicht mehr gesehen.«
»Hier, bitte sehr.« Sam stellte einen Teller mit vielfarbigen Klumpen vor mich hin. Ich haute rein, um ihn nicht zu beleidigen. »Yvonne gehtâs groÃartig«, sagte er und verzog das Gesicht zu einem süÃlichen Grinsen. »Du hast sie nur länger nicht zu Gesicht bekommen, weil sie nebenbei zu studieren begonnen hat.«
»Ach, tatsächlich? Gut! Welches Fach?«
»Kommunikationswissenschaften. Du machst Yvonnes Traumjob.«
»Wirklich?«
»Ja, Chas, wirklich«, sagte Sam leicht verschnupft. »Sie mag vielleicht ein bisschen albern sein, aber sie ist verdammt klug.«
Ein unangenehmes Schweigen entstand.
»Sam, es tut mir leid. Das hat sich ja furchtbar angehört.« Ich legte meine Gabel beiseite. »So habe ich das nicht gemeint. Ich bin mir sicher, dass sich Yvonne hervorragend für einen solchen Job eignet. Ich bin im Moment einfach
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