Verliebt in einen Unbekannten
alles andere.
04.41 Uhr
Aber, aber, Shelley, das ist nicht fair. Ich vertraue dir an, dass ich glaube, ich könnte mich bessern, und du kommst mir mit deinen Wohltaten und deiner blöden ehrenamtlichen Tätigkeit. Ha! Du magst vielleicht schön sein, aber ich glaube nicht, dass du perfekt bist.
Komm schon ⦠x
PS: Ist deine Haut wirklich so glatt? Auf dem Foto sieht es so aus, als seist du aus Alabaster gemeiÃelt.
PPS: Ãhm, sorry. Es ist schon spät. Vielleicht habe ich mich ein bisschen hinreiÃen lassen. Dieses Internet-Dating ist eine gefährliche Sache, findest du nicht? Sind all die Gefühle echt? Oder sind sie bloà eine verrückte Online-Fantasie? SchlieÃlich könntest du genauso gut ein alter Mann sein.
PPPS: Nein, im Grunde glaube ich nicht, dass du ein alter Mann bist.
Ich lachte laut auf. »Von wegen alter Mann, William«, kicherte ich und tippte auf Antworten.
Und dann zögerte ich. William war rührend ehrlich mir gegenüber gewesen. Würde ich ihm mit einer albernen Flirty-Mail ausweichen, oder würde ich tatsächlich über seine Worte nachdenken?
Ich nahm meine Hände von der Tastatur. War ich perfekt? (Ganz offensichtlich nicht.) Gab es Dinge an mir, die ich gern ändern würde? Ja , dachte ich zu meiner Ãberraschung. Ja, in der Tat. Mich vor ein paar Stunden in Shelley wiederzuentdecken hatte zu ein paar äuÃerst unschönen Erkenntnissen geführt. Und William hatte es gleich gemerkt. Wie machte er das nur?
Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, schrieb ich schon wieder.
05.01 Uhr
Ob ich wohl etwas besser machen könnte?
Das ist eine Frage, die ich mir nie zuvor gestellt habe. Nun, ich habe sie mir schon gestellt, doch ich habe »etwas besser machen«, »mich verbessern« immer in dem Sinn verstanden, dass ich vielleicht noch härter arbeiten, noch mehr erreichen könnte. Aber jetzt, wo du mich fragst, wird mir klar (ähm, gerade jetzt, in diesem Augenblick), dass ich nicht besonders gut mit mir zurechtkomme, wenn ich untätig herumsitze. Du hast voll ins Schwarze getroffen mit deiner Vermutung, dass ich ein Date vorziehen würde, bei dem wir innerhalb von drei Stunden ungefähr eine Million Dinge tun. Ich ertrage keinen Stillstand â das treibt mich in den Wahnsinn. Das ist nicht gut, oder?
Und jetzt (woher kommt das bloÃ??? Grrr!!) frage ich mich auch noch, ob ich vielleicht etwas weniger arbeiten sollte ⦠Mein Job frisst den GroÃteil meiner Zeit und meiner psychischen Kraft. Doch wie soll ich das schaffen, ohne zu kündigen?
Ach, du meine Güte. Das ist ein Stich ins Wespennest, William. Ins Wespennest.
Ich drückte auf Senden und fühlte mich elend. »Du schreibst für Shelley«, redete ich mir halbherzig ein. »Diese Zeilen sind nicht in deinem, sondern in ihrem Namen verfasst.« Doch nichts von unserer bisherigen Korrespondenz hatte irgendetwas mit Shelley zu tun, und bei dieser Mail war es nicht anders. Das hier war zu hundert Prozent ich, und zwar nicht nur die oberflächliche Charley. Ich hatte Dinge geschrieben, die ich noch nie zuvor ausgesprochen hatte. Nie zuvor gedacht hatte. Ich las meine letzte Nachricht noch einmal durch und fühlte mich noch verwirrter. Diese Beobachtungen, mein Leben betreffend, waren alles andere als angenehm.
William schrieb fast augenblicklich zurück.
05.03 Uhr
Hältst du dich für eine Perfektionistin?
Ich atmete langsam aus. Das alles wurde ein bisschen zu tiefgründig. Trotzdem traf er ins Schwarze. Wieder einmal. War ich eine Perfektionistin? Verdammt noch mal, sicher war ich das! Ich war die gröÃte Perfektionistin auf dem ganzen Planeten! Ich riss mir ein Bein aus, um das perfekte Risotto zu kochen, den perfekten Wein zu kaufen, die perfekte Angestellte zu sein. Ich wurde wütend auf mich selbst, wenn ich meine perfekte Laufzeit durch den Holyrood Park auch nur um eine Zehntelsekunde verfehlte. Eine Zehntelsekunde? Du lieber Himmel! Leicht benommen schlug ich mir die Hand vors Gesicht.
05.10 Uhr
Die Antwort ist klar: ja. Ich bin in der Tat eine fürchterliche Perfektionistin. Und ich verstehe nicht, warum ich das jetzt erst bemerke.
Ehrlich, William, ich bin absolut gnadenlos zu mir selbst. Wenn ich wüsste, wie ich es anstellen sollte, wäre ich gern netter zu mir.
Ich denke, das gilt zweifelsohne auch für meine Beziehungen. Ich glaube, ich würde mich mit
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