Verliebt in einen Unbekannten
ist bloà los mit dir, du Psycho! Verwandle dich bloà nicht in eine dieser bescheuerten Frauen, die sich wegen ihrer kindischen Besessenheit von einem Mann die Karriere ruinieren«, ermahnte sie mich. Türkische Technomusik wummerte aus den Lautsprechern hinter uns, und Hailey, die einer Wurst im Schlafrock den Garaus machte, sah in dem seltsam rosa Neonlicht sogar noch beängstigender aus. Obwohl ich mich mit aller Macht dagegen sträubte, fühlte ich mich von ihrem Ton verletzt. Hailey war immer schon ziemlich herrisch gewesen, doch langsam wurde es mir zu viel.
Als sie meine Empörung bemerkte, schraubte sie ein wenig zurück. »Na komm schon, meine Liebe. Du bist superprofessionell, schieà dir doch kein Eigentor! Charley, kümmere dich um dein neues Geschäft. Es ist brillant!«
Ich lehnte mich im Panzer zurück und seufzte. Sie hatte recht. Es wäre ein grauenhafter Fehler zu versuchen, William für mich selbst an Land zu ziehen, und zwar nicht nur auf beruflicher Ebene. Doch abgesehen davon â wie sollte ich mich je mit ihm treffen, ohne ihm gestehen zu müssen, wer ich war und was ich getan hatte? Ich könnte mir wohl kaum irgendeine schreckliche Krankheit ins Trommelfell injizieren und mich anschlieÃend zu ihm überweisen lassen.
Trotzdem war die Vorstellung, ihn sang- und klanglos aufzugeben, ziemlich niederschmetternd. Ja, zwischen John und mir knisterte die Luft vor aufgeladener Sexualität, doch mit William hatte ich das Gefühl, mich erstmals auf einer emotionalen Ebene zu bewegen. Eine emotionale Ebene, die mir half, mein Leben auf bislang unbekannte Art und Weise zu betrachten. Das hatte doch mit Sicherheit etwas zu bedeuten!
Hör auf damit! , flehte ich mich innerlich selbst an. Du hast vier Stunden mit ihm geemailt. Zwischen euch besteht keinerlei emotionale Bindung. Ihr kennt euch doch nicht einmal! Die Endlosschleife in meinem Kopf lief immer weiter, doch sie führte zu nichts.
» CHARLOTTE !«, bellte eine Stimme, mit der ich in meinem Stammimbiss nicht gerechnet hatte. Ich sah auf, und da war sie: Granny Helen. Majestätisch thronte sie in ihrem Rollstuhl, einen atemlosen Sam hinter sich. Er trug einen schmuddeligen Trainingsanzug aus seiner Unizeit, auf seiner Stirn standen SchweiÃperlen von der kurzen Strecke hügelaufwärts. Trotzdem sah er supergut aus.
»Bowes? Granny Helen? Ich ⦠Was ist denn los?«
»Ich wollte dich überraschen«, teilte mir meine GroÃmutter mit. »Wollte mal sehen, was dein neues Unternehmen so macht. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du hier in Würstchenform gepresste Fleischabfälle in dich hineinstopfst. Bist du krank?«
»Ich bin in der Tat auch ein wenig überrascht, Chas.« Sam lachte leise. »Du hast nicht zufällig einen Vollkorn-Wrap unter dem Tisch versteckt?« Er wendete Granny Helens Rollstuhl und parkte sie neben mir.
Kurzzeitig war ich sprachlos. Ich hatte nicht erwartet, im Fish-&-Chips-Laden an der Ecke Rollstuhl an Rollstuhl mit meiner GroÃmutter zu sitzen. Wir beiden mussten einen seltsamen Anblick bieten. Granny Helen sah sehr gepflegt aus, ihr Haar war zu einem Knoten geschlungen und im Nacken festgesteckt. (Mum frisierte Granny jeden Morgen.) An ihren Ohrläppchen hingen Perlen, ihr Make-up war tadellos. Sie duftete nach Puder und Parfüm und Kindheit. Ich war ziemlich businessmäÃig gekleidet, wie immer. Ja, wir gaben ein auÃergewöhnliches Paar ab.
Hailey, die offenbar derselben Meinung war, lächelte. »Ihr zwei seht süà aus.« Sie beugte sich vor, um meine GroÃmutter auf die Wange zu küssen, die diese ihr entgegenstreckte. »Wie bist du hergekommen?«, fragte sie.
»Christian hat mich gebracht«, antwortete Granny Helen. »Er wollte mitkommen, um nach Charlotte zu sehen, aber ich habe es ihm untersagt. Ich verbringe viel zu wenig Zeit mit meiner Enkelin.« Sie schnaubte. »Selbst als sie sich zu Hause in East Linton erholt hat, ist sie die ganze Zeit über mit diesem verflixten Unternehmen beschäftigt gewesen.«
Sie spähte mich herausfordernd über den Rand ihrer Brille hinweg an, doch ich ging nicht darauf ein. Gegen Granny Helen in den Kampf zu ziehen war absolut sinnlos, selbst wenn sie im Unrecht war. In diesem Fall jedoch war sie im Recht. Ich seufzte, während Hailey lächelte. Anscheinend freute sie sich, eine Verbündete gefunden zu haben.
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