Verliebt in einen Unbekannten
Er blickte verdrossen drein. Die Sache mit Yvonne hatte ihn offenbar hart getroffen, doch aufgewühlt, wie ich war, verspürte ich ein überwältigendes Bedürfnis herauszufinden, wie die Verabredung von William und Shelley lief. Ich warf einen Blick über die Schulter, als wollte ich einen Kellner herbeirufen, und sah, wie William sich vorbeugte. Das Kinn in die Hände gelegt hörte er Shelley zu. Er lächelte. Shelley, leicht errötet, schien lockerer geworden zu sein. Beide tranken ihren Wein sehr schnell. Inzwischen setzte sie auch Gesten ein und â ich hielt den Atem an â fuhr sich scheinbar abwesend mit der Hand übers Schlüsselbein. Dieses Luder! Das war eine meiner typischen Bewegungen! Ich sah, wie Williams Blick abwärtsschoss, genau wie es ihre Absicht gewesen war. Ach, er war so süÃ, und ach, sie war wirklich gut.
Auf einmal hasste ich Shelley Cartwright mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Wie konnte sie es wagen, sich übers Schlüsselbein zu streichen? Wie konnte sie es wagen, tatsächlich eine Persönlichkeit zu besitzen? Wie konnte sie es wagen, dort zu sitzen, wo ich sitzen sollte? Zur Hölle mit ihr!
»Bist du sicher, dass du diese Leute nicht kennst?«, fragte Sam, als sich Katy breit grinsend zu uns zurückschlängelte.
»Ganz sicher.«
»Nun, dann hör auf, sie anzustarren, du Irre!«
»Leck mich.«
»Leck dich selbst, Charley. Wenn du mit einem Gesicht wie sieben Tage Regenwetter dahocken willst, verzieh dich in einen Burger King. Die haben heute einen Triple Whopper mit Pommes für fünf neunundzwanzig im Angebot.«
»Ha!«, rief Katy und setzte sich. »Letzte Woche habe ich Heilfasten gemacht, was damit endete, dass ich mir nach zwei Tagen einen Whopper reingezogen habe. Welcher Idiot isst schon Gerstengras zum Frühstück?«
»Charley«, antwortete Sam hilfreicherweise. Ich biss die Zähne zusammen. »Bis zu ihrem Unfall hat sie riesige Pakete davon in unserem Kühlschrank gebunkert.«
Katy zuckte die Achseln. »Nun, du siehst auch viel besser aus als ich, Chas. Gratuliere!«
Ich hörte einen Mann hinter mir lachen und wusste, dass es William war. Das Geräusch versetzte mir einen Stich ins Herz, und ich holte tief Luft. Es würde ein schwieriger Abend werden.
Als das Dessert serviert wurde, war ich mehr oder weniger verstummt. Sam und Katy waren betrunken; ich war nicht über einen Schwips hinausgekommen und hatte das grauenhafte Gefühl, dass sich das auch nicht ändern würde, egal, wie viel Wein ich in mich hineinschüttete. Die beiden sprachen über eine Open Mic Session, die jeden Donnerstagabend stattfand und die Katy und Ruben, der Bassist, in Camberwell ins Leben gerufen hatten. Sam hatte angeboten, morgen Abend den Moderator zu geben â »Ich könnte versuchen, diese PFD -Frau einzuladen, damit sie mein Zeug sehen kann« ( Zeug? Welches Zeug? War Sam urplötzlich ein Bühnenkomiker geworden? Ein Biogemüseverkäufer?) â, und Katy war entzückt über den Hauptact, einen Oxford-Dandy mit Melone, der auf Mittelenglisch rappte.
William und Shelley, das konnte ich bei einem weiteren plumpen Blick über die Schulter feststellen, waren immer noch da. Sie unterhielten sich angeregt, und William stieà immer wieder sein liebenswertes, dröhnendes Gelächter aus, was mich jedes Mal fast umbrachte.
Als ich mich wieder dem Gespräch an unserem Tisch zuwandte, redete Sam gerade über etwas, das sich Berührungsimprovisation nannte und das er an der Schauspielschule praktiziert hatte. Es klang so unsagbar lächerlich, dass ich aufstand und mich auf den Weg zur Toilette im Untergeschoss machte, was mir einen ausgezeichneten Blick auf Shelleys und Williams Tisch bescherte. Shelley hatte sich zurückgelehnt, die Beine verführerisch überkreuzt, William beugte sich immer noch vor. Sie hatten ihre zweite Flasche Wein fast geleert, und es sah so aus, als hätten sie auch ihren Nachtisch schon gegessen. Shelley hatte etwas auf ihrem Teller liegen gelassen, um zu beweisen, dass sie trotz ihrer GröÃe von über eins achtzig zart und feminin war. Ich vernahm ihre barsche, unfreundliche Stimme.
Gerade als ich mich umwandte, um die Treppe ins Untergeschoss hinabzusteigen, begegnete William meinem Blick. Er lächelte mich an. Breit. Verzog das ganze Gesicht zu einem aufrichtigen
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