Verliebt in einen Unbekannten
Lächeln, für mich allein. Das Lächeln dauerte höchstens eine Sekunde, doch ich war bezaubert.
Aufgeregt tänzelte ich die Stufen hinunter. Es bestand durchaus noch Hoffnung! Vor dem Spiegel zwickte ich mir in die Wangen. Vielleicht hatte William etwas gespürt, als wir uns zuvor angeschaut hatten. Wenn ich seinen Blick doch nur noch einmal einfangen könnte â¦
Was dann? Fantastin , knurrte die Stimme in meinem Kopf. Du hast ihm ein paar Sekunden in die Augen geblickt, mehr nicht!
»Ãhm, nicht zu vergessen die zwei Tage voller intensiver Online-Gespräche«, korrigierte ich mich. Mein Kampfgeist kehrte zurück. Ich musste etwas tun. Was schadete es schon, wenn ich ihm meine Karte dalieÃ, wie ich es ursprünglich geplant hatte? Im schlimmsten Fall hätte er nicht den blassesten Schimmer, von wem sie stammte, und würde nie anrufen. Doch im besten Fall hätte er mitbekommen, dass ich ihn anglotzte, und wäre nach einem mittelprächtigen Date mit Shelley neugierig genug, Kontakt mit mir aufzunehmen.
Ich sei die groÃe Frau, die ihn angelächelt hätte, kritzelte ich auf eine Visitenkarte, dann musste ich daran denken, was Hailey gesagt hatte â dass mich die Beziehung der beiden nichts anginge. War das, was ich tat, in irgendeiner Weise zu rechtfertigen? Du schuldest Shelley Cartwright gar nichts , beharrte die Stimme in meinem Kopf stur. Sie an deiner Stelle würde das Gleiche tun. Nicht ganz überzeugt rückte ich meine Brüste zurecht, so dass sie einen Spalt bildeten, dann schritt ich, die Visitenkarte fest in der Hand, aus der Toilette. Jetzt gingâs um die Wurst.
Es ging nicht um die Wurst. William und Shelley waren fort. An ihrem Platz lagen zwei zusammengeknüllte Servietten auf ihren Desserttellern. Ihre Stühle waren vom Tisch abgerückt, als hätten sie es eilig gehabt, das Lokal zu verlassen, um sich â¦
Panisch hastete ich zum Eingang und spähte hinaus.
⦠zu küssen.
William, der schöne, perfekte Doktor, und Shelley, die bissige Business-Frau, standen auf der Beak Street und küssten sich auf den Mund. Zögernd trat ich hinaus auf die StraÃe. Eine Woge verzweifelter Eifersucht spülte über mich hinweg. William löste sich von Shelley und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie war aufgeregt, ihr Gesicht gerötet, und sie strahlte ihn an wie ein verliebter Teenager.
»Charley«, sagte Sam, der plötzlich an meiner Seite auftauchte. Ich ignorierte ihn. William blickte Shelley lächelnd ins Gesicht und stellte ihr eine Frage. Sie nickte heftig. Ein weiteres Date? Ich konnte es kaum ertragen. Dann hob sie das Gesicht und küsste ihn erneut â zögerlich, tastend â, bevor sie in ein Taxi stieg, das an der Ecke zur Lexington Street wartete. William steckte die Hände in die Taschen und schaute ihr immer noch lächelnd nach, selbst als das Taxi schon losgefahren war. Dann drehte er sich um und ging davon.
»Chas?«, wiederholte Sam. Er war total stinkig. »Du hast dich den ganzen Abend über wie eine Vollidiotin benommen. Was um alles auf der Welt ist los mit dir?«
Ich starrte ihn mit leerem Blick an, dann drehte ich mich um und kehrte ins Restaurant zurück. Sam folgte mir. »Nichts«, sagte ich nach einer langen Pause. »Ich hatte bloà einen schlechten Tag. Einen sehr, sehr schlechten Tag.«
Sam musterte mich prüfend, blickte die inzwischen leere StraÃe entlang und nickte. Doch er wirkte nicht überzeugt.
Kapitel acht
Etwas später lieà ich mich von einer beschwingten, zum Plaudern aufgelegten Katy aus dem Restaurant bugsieren. Sie hatte darauf bestanden, dass ich sie zu dem Gig in Brixton begleitete. In einem schrill kreischenden Zug der Victoria Line rasten wir Richtung Süden, Katy und Sam kichernd auf einer Seite des Gangs, ich stumm zusammengesackt auf der anderen. Auf einmal stellte ich fest, dass ich noch immer meine Visitenkarte in der Hand hielt, die ich dem Kellner für William hatte geben wollen. Tränen der Scham traten mir in die Augen.
Du unverbesserlicher Schwachkopf , schalt ich mich. Läufst reihenweise den Männern nach und redest dir ein, sie würden dich mögen, dabei tun sie das ganz und gar nicht. Warum sollten sie auch? Du bist ein unsympathischer Klotz!
Ich war verzweifelt. Der giftigen Atmosphäre bei der Arbeit entronnen humpelte ich durch London, nur um
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