Verliebt in einen Unbekannten
nehmen.
Ich drehte mich auf die Seite und versuchte, noch ein bisschen Schlaf zu finden, doch es klappte nicht, weil es nicht dunkel im Zimmer war. Sams Laptopmonitor warf sein unheimliches, künstliches Licht auf den FuÃboden. »Lass das«, knurrte ich.
Nichts geschah, also warf ich die Bettdecke zurück und stürmte rüber, um ihn zuzuklappen.
Doch dann blieb mein Blick an etwas hängen. An etwas ganz und gar Merkwürdigem.
Auf Sams Bildschirm leuchtete eine ziegelfarbene Website, auf der oben in GroÃbuchstaben CYBER LOVE ASSISTANTS stand. Cyber Love Assistants? Darunter, etwa so groà wie der halbe Monitor, befand sich das, was meine Aufmerksamkeit geweckt hatte: ein Foto von Shelley Cartwright.
Langsam lieà ich mich aufs Bett sinken. Meine Gedanken rasten und überschlugen sich förmlich vor Erklärungen, doch keine davon ergab Sinn. Ich blickte genauer hin. Hier war nicht nur Shelleys Foto zu sehen, sondern ihr komplettes love.com-Dating-Profil. Es sah aus wie ein Screenshot. Daneben stand etwas geschrieben:
Kunde: Dr. William Thomas
Kandidatin: »Shelley«
Dating-Website der Kandidatin: www.love.com
Kundenbewertung dieser Kandidatin: *****
E-Mails an diese Kandidatin: 11
Perplex lehnte ich mich zurück. Plötzlich fiel mein Blick auf ein Notizbuch, das neben Sams Laptop lag. »Polpo« hatte Sam notiert. »Die Regent Street hinunter, dann links in die Beak Street und nach ungefähr zweihundert Metern auf der linken Seite â 19.30 Uhr.« Er hatte die Uhrzeit so kräftig unterstrichen, dass sich sein Kugelschreiber durch mindestens zwei Seiten durchgedrückt hatte.
Ich blickte wieder auf den Monitor. Shelley starrte mich an, kühl, selbstbewusst, geschäftsmäÃig. »Was um alles in der Welt geht hier vor?«, flüsterte ich.
Unten auf der Seite entdeckte ich ein Feld mit der Aufschrift »User Account: Sam Bowes«. Langsam, ganz vorsichtig â als wollte ich keine schlafenden Hunde wecken â streckte ich den Finger aus und klickte darauf. Ich war völlig durcheinander. Sam hatte ein Benutzerkonto bei Cyber Love Assistants. Und eine Verbindung zu Shelley und William. Bedeutete das etwa â¦?
Ja, genau das bedeutete es. Ein Bedienfeld öffnete sich, komplett mit einem Posteingang. Darin befand sich eine Nachricht aus der Zentrale von Cyber Love Assistants.
Sam,
ich habe eine E-Mail von William Thomas bekommen. Er schreibt, er sei nicht gerade glücklich über die E-Mails, die du in seinem Namen an eine Frau namens Shelley geschickt hast. Offenbar hält er sie für viel zu intim. Ruf mich morgen bitte an.
GruÃ, Steve Sampson
Meine Hand zuckte zurück. In meinem Kopf tobte ein wahrer Wirbelsturm, während ich zu verarbeiten versuchte, was ich da vor mir sah. Sam hatte Williams E-Mails geschrieben? Sam war ein Ghostwriter, genau wie ich? Und von allen Menschen auf diesem Planeten, für die er hätte tätig werden können, schrieb er ausgerechnet für William ?
Nein! Sam war ein WeiÃbrot mampfender, Frauen verschlingender Schuft und so romantisch wie eine gefüllte Hähnchenbrust. Das konnte gar nicht sein! William hatte es geschafft, meine Schale aufzubrechen, etwas, das Sam niemals gelungen wäre!
Ich musste halluzinieren. Abgesehen von allem anderen war Cyber Love Assistants ein amerikanisches Unternehmen. Wenn sie nach England expandiert hätten, hätte ich davon gewusst.
Ratlos klickte ich zurück auf die vorherige Seite und starrte wieder auf Shelleys Foto. Darüber leuchtete ein Feld für »Nachrichten« auf. Zu perplex, um an Dinge wie die Privatsphäre anderer Leute zu denken, klickte ich darauf, dann schnappte ich nach Luft, denn da war sie: die gesamte Korrespondenz zwischen Shelley und William.
Ich mag dich ein bisschen zu gern für ein x-beliebiges Mädel aus dem Internet , hatte William letzten Freitag geschrieben. Du hast etwas Besonderes an dir.
Ganz unten entdeckte ich etwas, das mich umhaute.
Vor fünf Tagen hatte ich William in Shelleys Namen geschrieben, um die Verabredung zu bestätigen und ihm zu erklären, warum ich bis dahin keinen Kontakt zu ihm halten könne. Hier, in Sam Bowesâ Entwurfsordner, stand eine Antwort, die er nie abgeschickt hatte. Ich las sie, eine Hand fest vor den Mund gepresst, als wollte ich verhindern, dass sich mir ein Schrei entrang.
Liebe Shelley,
das ist vermutlich die seltsamste
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