Verliebt in einen Unbekannten
sein â auch Sam hatte sich verletzbar gemacht. Ganz sicher hatte nicht nur ich meinen Schutzwall niedergerissen. Hatte er nicht offen zugegeben, dass er das Gefühl hatte, sein Leben würde an ihm vorbeiziehen, dass er sich verzweifelt beruflichen Erfolg wünschte, obwohl er gleichzeitig vor Furcht wie gelähmt war?
Einen Augenblick lang verspürte ich eine nie da gewesene Zärtlichkeit für ihn. Der arme Kerl, gefangen in einer Welt hirnloser Promotion- und gelegentlicher Barjobs. Warum um alles auf der Welt hatte ich gedacht, er, der talentierte Schauspieler, wäre glücklich damit? Nichts an seinem Lebensstil ergab Sinn, doch ich hatte mir nie auch nur ansatzweise die Mühe gemacht, ihn zu hinterfragen.
Sam und William, so dämmerte mir, waren vermutlich grundverschieden. William war im Polpo erstaunlich männlich und selbstsicher, wenn nicht gar groÃkotzig aufgetreten â und dann war da noch seine Beschwerde an Sams Boss, dass die E-Mails, die Sam für ihn verfasst hatte, »viel zu intim« seien. Was für eine entsetzliche Ironie, sollte sich herausstellen, dass William genauso war wie Dr. Nathan Gillies, sprich: ein arrogantes Arschloch, während sich Sam als interessanter, einfühlsamer, intelligenter Mann entpuppte, der mein Leben auf den Kopf stellte.
Ich legte mich auf meinem Sofa zurück und schloss die Augen. Es war kein angenehmes Gefühl, derartige Gedanken über Sam zu hegen, ganz gleich, wie unschuldig sie sein mochten. Egal, wie hart ich heute gearbeitet hatte, immer wieder schossen mir »Williams« E-Mails durch den Kopf, und ich kam nicht umhin, mich zu fragen, was das zu bedeuten hatte.
»Grrr! Hör auf damit!«
Arbeit , rief mir die Stimme in meinem Kopf kraftlos in Erinnerung. Arbeit lenkt dich von deinen verrückten Gedanken ab!
Erschöpft rappelte ich mich hoch und setzte den Kessel auf. Ich konnte nicht leugnen, dass die Arbeit bei mir als Ablenkungsmanöver funktionierte. Ich musste den Stein ins Rollen bringen und First Date Aid schlieÃen, auÃerdem konnte es nicht schaden, wenn ich meine Salutech-Presserede für nächste Woche noch einmal durchging.
Einer der von Sam angeleierten Miniberichte über Erste Hilfe fürs erste Date war gestern gedruckt worden, und mein Posteingang war voll. Als ich all die neuen Anfragen betrachtete, wünschte ich mir sehnsüchtig, ich könnte die Agentur am Leben erhalten â doch dann erinnerte ich mich an den Pakt, den ich gestern Nacht mit mir selber geschlossen hatte, und wusste, dass ich loslassen musste. Salutech kam an erster Stelle. Solange die Pharmafirma Nummer eins war, war ich ein geistig gesunder Mensch. Ich seufzte und wünschte mir, ich hätte ein bisschen mehr Zeit und Energie, mein wahrlich geniales kleines Unternehmen groÃzuziehen.
Eine nach der anderen ging ich die E-Mails durch und speicherte sie in verschiedenen Ordnern. Neue Klienten würden ein Standardschreiben erhalten, das sie über die SchlieÃung von First Date Aid informierte, während die, die schon länger meine Dienste in Anspruch nahmen, etwas Persönlicheres bekämen.
Hi, mir fehlt einfach die Zeit zur Internet-Partnersuche, deshalb dachte ich, du könntest mir vielleicht helfen , begann die erste Nachricht. Ich verschob sie in den Ordner für Neukunden und klickte die nächste an. Hallo, Charlotte, ich binâs, Ingrid, erinnerst du dich an mich???!!! Natürlich erinnerte ich mich an Ingrid mit ihren riesigen Silikonbrüsten. Sie bekam die meisten Anfragen. Ingrid war beliebt. Doch sie wollte »einen etwas intelligenteren Mann, vielleicht jemanden, der im mittleren Management arbeitet?« und hatte mich um Hilfe gebeten, »weil meine E-Mails wirklich dämlich sind!!!«.
Binnen einer Woche hatte ich vier Dates mit Herren des »mittleren Managements« für sie ausgemacht, und allem Anschein nach liefen die Dinge gut für sie: Ich habe diese Woche mit drei Männern geschlafen! , schrieb sie. Und alle haben ganz schön was auf dem Kasten! Mit zwei von ihnen treffe ich mich noch einmal. Danke, Charlotte, es war echt herrlich, mit dir zusammenzuarbeiten, und ich werde dich definitiv meinen verzweifelten Freundinnen weiterempfehlen!!!!
Ich lächelte. Ingrid und ihre Silikonmöpse waren wirklich nett. Schade, dass ich sie und ihre »verzweifelten Freundinnen« verlieren würde.
Und dann wurde mir bang ums
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