Verliebt in einen Unbekannten
Herz.
Liebe Charlotte,
ich möchte dir für die Organisation meiner Verabredung gestern Abend danken. Ich habe William in der Londoner Innenstadt getroffen, und alles lief wunderbar. Ich kann nicht leugnen, dass ich zunächst leicht schockiert war über den Umfang der E-Mails, die du in meinem Namen verschickt hast, doch es hat sich herausgestellt, dass du mich hervorragend vertreten hast (wie ist dir das nur gelungen?), und letztendlich war das Date ein voller Erfolg.
Wie dem auch sei, ich brauche deine Hilfe. Bitte ruf mich an, sobald du meine Mail gelesen hast, und wundere dich nicht, wenn du einen Auslandsklingelton hörst.
Mit bestem Dank
Shelley Cartwright
Ich sah auf die Uhr. Es war jetzt zwanzig nach elf. Es wäre das Beste, wenn ich ihr schnurstracks berichtete, dass ich die Agentur schlieÃen würde, doch wollte ich wirklich zu dieser nachtschlafenden Zeit mit ihr reden? Wollte ich jemals mit ihr reden?
Shelley beantwortete mir diese Frage, indem sie mich auf meinem First-Date-Aid - Handy anrief. Der Klingelton schrillte zornig durch mein stilles Wohnzimmer, bis mir keine andere Wahl blieb, als dranzugehen. »Ãhm, hi, Shelley«, sagte ich nervös.
» CHARLOTTE !«, brüllte sie. Im Hintergrund war etwas zu vernehmen, das klang wie ein Hurrikan. » HAST DU MEINE E- MAIL NICHT BEKOMMEN ?« Ich versuchte zu antworten, doch sie unterbrach mich: »Ich kann dich nicht hören, es ist zu stürmisch hier. Ich bin im Battery Park. Bleib dran!« Ich vernahm das Klackern ihrer Highheels, dann die Geräusche eines Coffeeshops. »Entschuldigung. Kannst du mich jetzt verstehen?«
»Ja.«
»Gut. Battery Park, New York, schrecklich stürmisch. Da ziehe ich den Central Park vor, der ist wunderschön um diese Jahreszeit.«
»Shelley, wie kann ich dir helfen?«, fragte ich müde.
»Richtig. Nun, Charlotte, du musst William weitere E-Mails für mich schreiben.«
Ich schaute mich um, als würde sie mit jemand anderem sprechen. »Entschuldige?«
Shelley bestellte einen Flat White mit einem Mürbeteigkeks. »Mein gröÃter Kunde hatte einen Notfall, deshalb bin ich heute früh rüber in die Zentrale geflogen. Es â ach, egal. Wie dem auch sei, ich werde die kommende Woche über hier sein, weshalb ich mit William lediglich per E-Mail kommunizieren kann.« Sie räusperte sich. »Ãhm, wir haben uns heute bereits mehrere Nachrichten geschickt«, erklärte sie verlegen, »aber es lief nicht besonders gut.«
»Verstehe«, sagte ich, wenngleich ich gar nichts verstand.
Als sie weitersprach, klang ihre Stimme ruhiger. »Ich habe Angst, ihn zu verlieren, wenn ich ihm weitere Mails schicke«, sagte sie. »Das Ganze ist mir sehr peinlich, Charlotte, aber ich möchte dich beauftragen, während der nächsten Woche mit ihm in Kontakt zu bleiben. Ich ⦠mag ihn. Und ich kann nun mal keine E-Mails schreiben.«
Gott sei Dank machte die Agentur dicht. »Shelley«, sagte ich behutsam, »es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann. Mein Angebot beschränkt sich auf die Konversation vor dem ersten Date. Alles andere wäre ein Schwindel, bei dem ich mich äuÃerst unbehaglich fühlen würde â¦Â«
»Bitte«, fiel mir Shelley ins Wort. »Bitte«, wiederholte sie, fast flehentlich. »Er ist etwas Besonderes, Charlotte. Ich wäre völlig am Ende, wenn ich das in den Sand setzen würde. Ich bezahle dir, was immer du verlangst. Ich schreibe dir eine Referenz für deine Website â einfach alles.«
Ich war verblüfft. Shelley Cartwright war zu einem menschlichen Wesen geworden. Wie schade, dass ich sie jetzt enttäuschen musste. »Nein, es tut mir leid, das ist wirklich nicht möglich«, beschied ich sie schlieÃlich. »Aus verschiedenen Gründen muss ich die Agentur schlieÃen, da â¦Â«
»Aber ich kann es nicht selbst!«, unterbrach mich Shelley wieder. »Ich bin nicht findig genug, nicht witzig. Ãberhaupt, was soll das heiÃen, du schlieÃt deine Agentur? Du bist absolut brillant! Was du für mich getan hast, war ganz auÃergewöhnlich!«
Und das warâs. Das gab den Ausschlag. Mein Ehrgeiz schaltete sich ein und übernahm die Führung. Schlicht gesagt: Ihre Worte gaben mir ein gutes Gefühl, und ich wollte mehr. Und selbst wenn ein kleiner Teil von mir â der Teil, den
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