Verliebt in einen Unbekannten
»William« geknackt hatte â wusste, dass es nicht gerade gut für mich war, mein Selbstbewusstsein damit in die Höhe zu treiben, war mir klar, dass ich den Kampf verloren hatte. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich war erneut in ihre Fänge geraten.
»Also gut«, hörte ich mich sagen. »Also gut, ich machâs.«
» WUNDERBAR !«, brüllte sie, plötzlich wieder Shelley Cartwright. Ich konnte ihr Gesicht genau vor mir sehen, gerötet und ungehalten, genau wie mein eigenes Gesicht zu den seltenen Gelegenheiten, bei denen ich anderen gegenüber ehrlich mit meinen Gefühlen war. »Und jetzt«, fuhr sie fort, »würde ich dich bitten, dir die E-Mails anzuschauen, die wir beide uns heute geschickt haben â sie sind ziemlich erbärmlich. Ich gebe dir meine Zugangsdaten, damit du sie lesen kannst, und rufe dich in ein paar Minuten noch mal an â¦Â«
Ich legte auf, lieà mich aufs Sofa fallen und kratzte mich am Kopf. Wie hatte sie mich so leicht umstimmen können? Keine Panik , sagte ich zu mir selbst. Das ist dein letzter Auftrag. Du kannst all die anderen Klienten ad acta legen und nur noch diesen letzten Job erledigen. Ich meinte es ernst.
Nur noch ein letzter Job.
Ich hatte mittlerweile so lange nicht mehr geschlafen, dass ich langsam das Gespür dafür verlor, was echt war und was Halluzination. Ich war mir ziemlich sicher, dass Sam mich anstarrte und etwas von wegen »ins Bett schleppen« sagte. Doch Sam war immer noch in London. »Was?«, murmelte ich. Mein Blickfeld verschwamm.
»Chas, wach auf, oder ich sehe mich gezwungen, dich ins Bett zu schleppen.« Sam nahm mir die Brille ab und drückte meine Hand.
»Was? Wo?«
Sam lachte leise. »Ich bin gerade reingekommen und habe die letzten Minuten damit verbracht, dich wach zu rütteln, doch du warst völlig weggetreten. Jetzt erzähl mir bitte nicht, du hast den ganzen Tag gearbeitet.«
Erschöpft schloss ich die Augen. »Hau ab. Ich rede nicht mit dir.«
Ich spürte, wie sich Sam neben mich aufs Sofa setzte. »Tut mir leid«, sagte er ruhig. »Ich bin früher zurückgekommen, um mich persönlich zu entschuldigen.«
Ich öffnete ein Auge. Er sah tatsächlich zerknirscht aus, doch ich erwiderte erst mal nichts.
»Was immer du vielleicht denkst, ich hatte es nicht auf Katy abgesehen. Ich war bloà vorübergehend neben der Spur.«
Ich richtete mich ein Stück weit auf. »Die Menschen werfen sich was ein und machen wahllos miteinander rum, das weià ich, Sam. Aber musste es ausgerechnet meine Schwester sein?«
Er wirkte beschämt. »Das Zeug hat mich völlig ausgeknocked! Komm schon, Chas, du hast doch auch schon mal Drogen genommen!« Schweigen. »O nein, hast du nicht, oder? Dir gefällt das Gefühl nicht, die Kontrolle abzugeben, stimmtâs?« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Tut mir leid, ich wollte dich zu allem Ãberfluss nicht auch noch kränken. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich diesen grauenhaften Scheià genommen habe. Was bin ich doch für ein Arschloch. Ich hasse mich.«
»Sam«, sagte ich müde, »es ist mir egal, mit wem du rummachst. Ich hatte dich nur gebeten, es nicht ausgerechnet mit Katy zu tun.«
»Ich weiÃ.«
Wieder Schweigen. Länger diesmal. Ich konnte ihm vom Gesicht ablesen, was er dachte â seinem hübschen, unverbrauchten Gesicht, trotz allem. Er hatte mit Katy geknutscht, weil er sich elend fühlte, nachdem er gesehen hatte, wie William und Shelley sich küssten. Mir war es genauso ergangen. Wir beide hatten unsere Hoffnungen zerschmettert gesehen und uns den Dingen zugewendet, die wir am besten konnten â ich hatte mich mit meiner Arbeit abgelenkt, er sich mit dem erstbesten zur Verfügung stehenden Mädchen.
Seit meiner Entdeckung vergangene Nacht war ich so beschäftigt mit mir selbst und meinen eigenen Gefühlen gewesen, dass ich irgendwie vergessen hatte, dass auch Sam hart gelandet war. Was hatte er noch gleich in diesem nicht abgeschickten E-Mail-Entwurf geschrieben? Ihm sei klar, dass es vollkommen unprofessionell sei, die Anonymität auf diese Art und Weise aufzuheben, doch es bleibe ihm praktisch keine andere Wahl?
Sam tat so etwas nicht. Er schrieb keine Liebesbriefe. Erzählte den Frauen nichts von seinen Gefühlen. Ich hatte ihn jahrelang beobachtet und wusste, wie er tickte. Die
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