Verliebt in Paris: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
am Ende hat sie sich durchgesetzt, weil sie wie ein Pferd arbeitete und die bahnbrechende Vorstellung hatte, Frauen sollten sich um ihrer selbst willen kleiden statt für die Männer. Sie hat nie geheiratet, ungewöhnlich für die damalige Zeit. Was letztlich dazu führte, dass in ihr eine neue Art von Frau gesehen wurde – eine, die unabhängig, erfolgreich und stilvoll zugleich sein konnte.«
»Diese Kombination kommt mir bekannt vor«, sagte ich und prostete meinem Gegenüber zu.
Trotz des schummrigen Lichts sah ich, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Eine Frau, die errötete. Was hätte Coco Chanel dazu gesagt?
»Vor allem gefällt mir wohl an ihr«, fuhr Daisy fort, »dass sie Schlichtheit zu etwas Schönem gemacht hat. Mag sich nicht besonders innovativ anhören, war aber seinerzeit eine Riesensache. Bis heute. Wie oft warst du schon in einem vermeintlich guten Restaurant und konntest das Essen nicht mal schmecken, weil es untergeht in … Innovation?«
Ich musste schmunzeln.
»Du weißt, was ich meine«, sagte sie. »Karotten sollten nach Karotte schmecken. Brathuhn sollte nach Huhn schmecken. Ein Zitronenkuchen sollte nach Zitrone schmecken. All diese sogenannten postmodernen Kochkünstler in ihrem Schöpferwahn. Davon wird mir ganz schlecht.«
Ich fühlte mich in ihrer Gesellschaft erstaunlich entspannt, aber da war noch was anderes. Eine wohlige Unruhe. Leidenschaft . Das war es, was der Ausstellung gefehlt hatte.
»Ich hab das Gefühl, du und Miss Chanel hätten sich blendend verstanden«, sagte ich.
»Du bist nett«, sagte sie. »Mir war es immer wichtig, dass meine Tochter einen starken, selbstständigen Charakter entwickelt. Aber du kennst sicher den Spruch: Pass gut auf bei dem, was du dir wünschst.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Meine Tochter ist komplett unabhängig. Achtzehn Jahre alt und bereit, die Welt zu beherrschen. Für mich hat sie keine Verwendung mehr.«
»Ist doch wunderbar«, meinte ich. »Dasselbe versuche ich bei meinem Sohn. Ich wünsche mir, dass er sich keine Gedanken darüber macht, was ich oder sonst wer denken könnte. Ich möchte, dass er hohe Maßstäbe an sich selbst legt.«
»Ja«, pflichtete sie bei. »Das ist wichtig. Aber Coco ist so hart zu sich selbst. Ich will gar nicht wissen, was sie tun würde, sollte sie mal eine Zwei bekommen. Sie kriegt ja schon bei einer Eins minus einen Anfall. Das ist nicht gut. So ist das Leben nicht.«
»Stimmt.«
»Jedes Jahr versuche ich, sie mit nach Paris zu locken«, sagte sie. »Aber sie will auf keinen Fall den Unterricht versäumen. Sie ist nicht mehr nach Paris mitgekommen, seit sie acht war – und zwar war das ihre Entscheidung, nicht meine. Ist das zu glauben?«
»Nein. Webb sucht immerzu nach einem Vorwand zum Schuleschwänzen.«
»Sie hat mich diesmal nur begleitet, weil ich die Reise in ihre Frühjahrsferien legen konnte. Sie will perfekt sein. Das ideale Rezept zum Scheitern.«
»Oder wenigstens zum Unglücklichsein.«
»Genau«, sagte sie. »Und es gibt noch einen Grund, warum ich sie Coco genannt habe. Coco wie in Cocoa, also Kakao. Denn für mich steht Schokolade für den Genuss, den man sich gönnen sollte. Und welchen Sinn hätte das Leben, könnte man sich an nichts freuen?«
In diesem Sinne bestellten wir eine weitere Runde.
»Wie bist du zu einem Jungen namens Webb gekommen?«, erkundigte sie sich. »Hat das eine Vorgeschichte?«
»Natürlich, aber die ist lang.«
Sie schaute auf ihre Uhr. »Mir bleiben noch fast vier Stunden, bis mein Flug geht.«
»Willst du dir das auch wirklich anhören?«, fragte Andrew und lächelte müde.
Ich hätte eine lange, belanglose Geschichte vorgezogen, bei der ich nicht mehr hinhören müsste und einfach sein Gesicht mustern könnte. Nach solch einer Geschichte klang es aber nicht.
»Klar will ich mir das anhören«, sagte ich. »Raus damit.«
Er lächelte. Was für ein entzückendes Lächeln. Was für ein toller Mann.
»Gut.« Er wurde ernsthafter. »Ich bin der Vater des Sohns meiner Schwester.«
Wie jetzt?
»Nicht der leibliche Vater«, hängte er eilig an. »Ich hab Webb gleich nach seiner Geburt adoptiert. Von meiner Schwester Laura.«
»Sie wollte kein Kind haben?«, fragte ich.
Er trank gedankenvoll einen Schluck, ehe er antwortete. »Sie war Mitglied einer Sekte. Eine verwickelte Geschichte, aber nein, sie wollte kein Kind haben. Oder der Anführer der Sekte wollte keins haben. Er war der
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