Verliebt und zugenäht!: Roman (German Edition)
widerspruchslos alles, was angeordnet wurde. Auf diese Weise eckte sie bei der Chefin nie an. War das besser?
Emma nahm die Brille ab und hatte im ersten Moment wirklich das Gefühl, vom gleißenden Tageslicht in der Werkstatt geblendet zu werden.
»Na bitte«, stellte Mona fest, und Emma erwartete spöttische Blicke oder Bemerkungen, wenn nicht sogar schallendes Gelächter, »nichts zu sehen. An die Arbeit, Mädels!« Leicht enttäuscht drehten sich die Kolleginnen um und setzten sich an ihre Nähmaschinen. Schon bald hörte man Rattern aus jeder Ecke des Raumes, so als hätte man eine ganze Armee von Aufziehmännchen gleichzeitig losgelassen.
Emma befühlte vorsichtig ihre Augenlider, konnte jedoch mit den Fingerkuppen keine Veränderung feststellen. Egal. Hauptsache, die anderen hatten keinen Verdacht geschöpft. Gerade wollte sie sich an ihre gestern begonnene Arbeit machen, da kam die Chefin hektisch in die Werkstatt gerauscht.
»Das ist mal wieder typisch«, keifte sie los und stemmte herrisch die Arme in die Hüften, »alle arbeiten, nur unser Fräulein Jacobi starrt Löcher in die Luft!«
Emma wusste, dass es keinen Sinn hatte zu widersprechen. In der Werkstatt war es jetzt so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Falls eine von ihnen es überhaupt gewagt hätte, eine fallen zu lassen. Kein Rattern mehr, kein Flüstern, nichts. Diesen Tonfall kannten sie alle nur zu gut. Emma zog den Kopf ein und erwartete die nächste Standpauke.
»Das trifft sich gut«, hörte sie stattdessen und wäre vor Überraschung beinahe aus den hübschen altmodischen Schnürschuhen gekippt. »Gerade hat mich die Kostümchefin dieser Rathaus-Serie angerufen. Wie hieß sie noch gleich?«
»Die Chefin?« Emma hatte keine Ahnung, woher sie das wissen sollte.
»Papperlapapp. Die Fernsehserie natürlich!«
»Meinen Sie ›Amtliche Gefühle‹?«
»Richtig«, bestätigte Frau Stich wie bei einer Prüfungsaufgabe und rollte dabei das »R« wie eine ihrer Nähmaschinen. »Sie fahren hin und liefern das fertige Hochzeitskleid!« Dabei tippte sie Emma mit ihrem knochigen, langen Zeigefinger auf die Brust.
Die spürte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich. Spätestens waren jetzt beide Raupen an Durchblutungsstörungen zugrunde gegangen. Sicher bereitete es kein Vergnügen, den ganzen Tag mit einer Tyrannin im Nacken seine Arbeit zu verrichten. Aber mit deren Wagen ein sündhaft teures Modellkleid durch den Münchner Verkehrsdschungel zu kutschieren war noch um einiges unangenehmer.
»Jetzt machen Sie schon! Die Sache duldet keinen Aufschub. Es eilt!« Auch das noch. Emma erwog kurz sämtliche Fluchtmöglichkeiten nebst Ohnmachtsanfall und Hals- oder Beinbruch. Dass Ausreden in dieser Situation jedoch nicht zogen, war von vornherein klar.
»Sie bringen hier in der Werkstatt am allerwenigsten. Da können Sie sich besser draußen nützlich machen.« Damit verließ Frau Stich geschäftig den Raum, um schon einmal das bereits verpackte Kleid ins Auto zu legen. Emma wusste genau, dass die Chefin sie lediglich loswerden wollte, um sich nicht schon wieder mit Emmas Ideen oder Änderungsvorschlägen auseinandersetzen zu müssen. Doch das konnte sie ihr ja schlecht auf den Kopf zusagen.
»Heute meint’s die Stichsäge aber besonders gut mit dir«, flüsterte Jasmin etwas neidisch, sobald die Luft rein war. Außer Emma hätte sich vermutlich jede der Kolleginnen gefreut, auf derart elegante Weise der im doppelten Sinn dicken Luft im Atelier für eine Stunde oder mehr zu entkommen.
»Dann fahr doch du. Ich hab nichts dagegen«, erwiderte Emma.
»Hast ja gehört – damit kommst du nicht durch.«
»Jetzt freu dich halt, dass du raus darfst«, sagte Mona aufmunternd, »mindestens eine Stunde ohne Stichsäge. Das ist schon was, oder etwa nicht?«
»Vielleicht lernst du ja sogar einen von den Schauspielern kennen!« Beim Gedanken daran glänzten Jasmins Augen wie der goldene Knauf der Ateliertür, nachdem sie ihn unter den strengen Augen der Chefin blank poliert hatte.
»Wenn Sie noch länger hier sinnlos rumstehen, wäre das Kleid sogar per Post schneller dort!«, unterbrach Frau Stichs keifende Stimme die Unterhaltung. Sie drückte Emma energisch die Autoschlüssel in die Hand und kommandierte: »Bavaria-Filmgelände, Halle drei, Kostümabteilung, zu Händen Teresa Schubert! Und vorsichtig! Danach sofort zurück! Verstanden?«
Emma nickte stumm und ergriff die Flucht, bevor die Chefin weitere Anweisungen ausstoßen
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