Verliebt, verlobt - verrueckt
Tochter, und wenn ein passender Kandidat gefunden war, wurde nicht lange gefackelt. Als Frau hatte man gar keine Wahl, eine Heirat war fast immer die einzige Option, und so war man schon dankbar, wenn einen der Mann nicht prügelte und vergewaltigte, einer regelmäÃigen Beschäftigung nachging und seinen Lohn nicht verspielte oder versoff.
Die Ehe war eine Art Wirtschaftsunternehmen, in vermögenden Kreisen ging es oft darum, durch eine Heirat eine lukrative Fusion zweier Familienbetriebe oder Gutshöfe herbeizuführen, beim Adel hatten Hochzeiten häufig politische Hintergründe. Noch in der Zeit, in der meine Mutter meinen Vater heiratete (Ende der 50 er-Jahre), spielten Kriterien wie Status, Einkommen und gesellschaftliche Stellung eine groÃe Rolle bei der Wahl des Ehepartners. Wichtig war, dass man unter diesen Aspekten » zusammenpasste«, nicht so sehr, ob man ineinander verliebt war. Im besten Fall mochte man sich, hatte gemeinsame Interessen und ähnliche Vorstellungen von Humor â in diesen Fällen gab es immerhin die Chance, dass sich mit der Ehe eine Form von Liebe oder zumindest Zuneigung entwickelte. Ob man im Bett zusammenpasste, stellte man häufig erst fest, wenn es zu spät war â im prüden gesellschaftlichen Klima dieser Zeit war es schwierig, Sex vor der Ehe auszuprobieren oder gar ohne Trauschein zusammenzuleben.
Möglicherweise waren Ehen vor hundert Jahren nicht mal so viel unglücklicher, denn wer geringe Erwartungen hat, kann kaum enttäuscht werden. Die wenigsten Verheirateten haben vermutlich damals von ihren Ehepartnern erwartet, dass die ihr Innerstes verstehen, sich mit ihnen über ihre Gedanken, Hoffnungen und Ãngste austauschen, sensibel auf ihre Bedürfnisse eingehen, kurzum: sie glücklich machen. Genau das erwarten wir aber heute, wenn wir heiraten. Unsere Vorstellung von der Ehe als höchstem Ausdruck der Liebe, als Einrichtung zur Herstellung permanenter Glücksgefühle, befrachtet diese Institution mit dermaÃen hohen Erwartungen, dass die Gefahr der Enttäuschung und des Scheiterns natürlich viel gröÃer ist.
Bild 5
»Wenn ein Mädchen heiratet, tauscht es die Aufmerksamkeit vieler Männer gegen die Unaufmerksamkeit eines einzigen ein.«
Helen Rowland
Um ein Haar hätte ich beschlossen nicht zu heiraten, an diesem Abend im Haus meiner Kindheit, in einem Bett liegend, in dem ich viele Male zuvor gelegen hatte â als Mädchen, als junge Frau, als erwachsene Frau. Immer war das ich gewesen, und dieses Ich war eindeutig definiert, hatte klare Konturen. Und nun war dieses Ich im Begriff, zu einem Teil von etwas Neuem zu werden, sich in einem unbekannten Wir aufzulösen, und das machte mir schreckliche Angst.
Ich hatte keine besonders gute Meinung von der Ehe, denn die Verbindung meiner Eltern war nicht sehr glücklich gewesen. Als Kind hatte ich sogar die Vorstellung, der Ehepartner sei eine Art Aufpasser, der die Eltern ersetzt, sobald man erwachsen ist. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Leute freiwillig heiraten, weil sie sich gernhaben oder sogar lieben. In dieser Hinsicht hatte ich inzwischen zwar dazugelernt, trotzdem blieben Zweifel.
Kurz danach provozierte ich einen schlimmen Streit mit Peter, der darin gipfelte, dass ich ihn fragte: » Soll ich das Aufgebot abbestellen?«, und insgeheim hoffte, er würde » ja« sagen. Dann wäre die Hochzeit geplatzt, ich wäre aber nicht schuld gewesen. Schlauerweise sagte Peter: » Mach, was du willst«, und verlieà meine Wohnung. Damit saà ich da und musste selbst die Verantwortung übernehmen, für das, was ich tat.
Ich sagte die Trauung nicht ab. Panik vor der Hochzeit scheint ein verbreitetes Phänomen zu sein â in so und so vielen Filmen habe ich gesehen, dass Bräute kurz vor der Trauung fliehen wollen und am Ende glücklich in die Arme ihres Bräutigams sinken. AuÃerdem hätte ich das meiner Familie nicht antun können, die sowieso schon genervt war, dass ausgerechnet zwischen Weihnachten und Neujahr unsere Hochzeit stattfinden sollte. Eine bessere Terminierung des groÃen Ereignisses war uns nämlich nicht geglückt.
Als feststand, dass wir heiraten würden, hatte ich mit schwäbischem Pragmatismus beschlossen, dass wir ja dann die Steuervorteile fürs laufende Jahr noch mitnehmen könnten. Dadurch rutschte der Termin in den Dezember. Unter diesen Umständen,
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