Verliebte Abenteuer
Milch.
»Dann rief er nach Papier, Mr. Webb. Die Rolle war leer.«
»Hören Sie mal.« Webb faßte James an einem der blanken Knöpfe des Dienerjacketts. »Sie sind kein Idiot, mein Lieber. Wären Sie einer, hätten Sie nicht schon seit drei Jahrzehnten den Posten eines Kammerdieners im Hause Ashborne innegehabt. Also raus mit der Sprache – was wissen Sie?«
»Auf Ehr' und Gewissen – nichts!« James hob zur Beteuerung beide Hände. »Als ich Seiner Lordschaft das Papier durch einen Türspalt gereicht hatte, zog ich mich zurück. Dort ist das Bad, daneben das WC.« Er zeigte auf zwei Türen in der Schlafzimmerwand neben dem Balkon. »Als ich wieder hereinkam, um das Bett zu machen, war von Lord Ashborne keine Spur mehr vorhanden.«
»Und niemand sah ihn das Haus verlassen?«
»Niemand.«
»Der Lord konnte doch nicht fliegen.«
James zuckte mit den Schultern. »Wir sind über die sportlichen Qualitäten Seiner Lordschaft nicht orientiert.«
»Damned!« Webb ging zu dem großen Spiegel des eleganten Toilettentisches, blickte sich um, bückte sich triumphierend und hob vom Teppich ein dünnes Büschel Haare auf. Er hielt es gegen das Licht und fragte: »Welche Haarfarbe hat Lord Ashborne?«
»Blond.«
»Diese Haare hier sind aber braun.«
»Mag sein.«
»Geben Sie nicht so uninteressierte Antworten, als ob Sie das Ganze nichts anginge, mein Lieber. Was haben ausgerissene braune Haare beim Toilettentisch eines blonden Junggesellen zu bedeuten? Können Sie mir das erklären? Empfing Lord Ashborne hier Damenbesuche?«
»Nein.«
»Dann will ich es Ihnen sagen: Lord Ashborne hatte an diesem Morgen dennoch Besuch.«
»Nicht, daß ich wüßte. Ich glaube es jedenfalls nicht.«
»Und zwar unerwünschten Besuch. Männerbesuch. Der Betreffende kam über den Balkon. Verstehen Sie? Solchen Besuch! Die Haare auf dem Teppich sagen mir, daß ein Kampf stattgefunden hat. Der Unbekannte mußte zwar sozusagen Federn lassen – braune Federn –, aber letzten Endes konnte er den Lord doch überwältigen und mit sich schleppen. Es können auch mehrere gewesen sein. Wir haben es auf alle Fälle mit einer Entführung zu tun.«
»Großer Gott!« James dachte an Flip und dessen Doppelrolle und fühlte, wie der Boden unter ihm wankte. »Vergaloppieren Sie sich da nicht, Inspektor?«
»Nein!« Webb sah stolz um sich. Ja, so ein Kerl bin ich, sollte das heißen. Was ist ein Sherlock Holmes gegen Webb? Was ein Pinkerton? Was der ganze Scotland Yard? Wenig!
»Aber warum hätte Seine Lordschaft da nicht um Hilfe gerufen, Inspektor?«
»Das werden wir alles herauskriegen. Kümmern Sie sich nicht darum, James, das ist nicht Ihre Aufgabe. Überlassen Sie das Denken ruhig der Polizei. Die ist entsprechend ausgebildet und wird dafür bezahlt. Das hier ist ein Kapitalverbrechen, daran zweifle ich nicht mehr.«
Wenn das aber zutraf, mußte Inspektor Webb nun doch auch den Yard einschalten, was ihm durchaus nicht gefallen wollte. Nur ungern griff er zum Telefon.
Die Meldung schlug bei Scotland Yard wie eine Bombe ein, und Sir Brandley schickte seinen besten Beamten nach Aberdeen, um dem sensationellen Fall die richtige Bearbeitung angedeihen zu lassen.
Und dies heißt bei Scotland Yard immer, daß eine Maschinerie von Apparaten und Köpfen in Bewegung gesetzt wird.
Das As, das in Aberdeen bei Loretta erschien, war Superintendent Wisbeck.
Wisbeck hatte weder das K.o.-Kinn eines Sherlock Holmes noch die berühmte Shag-Pfeife im Mund. Er sah vielmehr wie ein pensionierter Bankbeamter aus und liebte über alles im Leben Pferde und den Rennsport.
Aha, wird der Leser sagen, jetzt fragt der Wisbeck den Flip nach Pferden, merkt, daß dieser nichts von Gäulen versteht, und nimmt ihn mit. Kennen wir, ist ne alte Masche, blättern wir zehn Seiten weiter.
Das wäre falsch, lieber Leser, denn gerade Superintendent Wisbeck fragte nicht nach Pferden. Er machte vielmehr etwas ganz anderes. Er aß zunächst bei Loretta zu Abend.
William, der vom Butler erfuhr, daß ein Beamter vom Yard eingetroffen war, bereitete sich auf alles vor und versorgte mit rührender Hingabe seine Pferde. Dies tat er nur, um den Bereich des Stalles nicht verlassen zu müssen. Percy hockte bei Bebsy, zankte sich mit ihr und schielte immer zur Tür, wenn draußen auf dem Flur ein Schritt laut wurde.
»Was würdest du sagen«, fragte er Bebsy, »wenn plötzlich ein Mann hier hereinkommen und mir mitteilen würde, daß ich verhaftet bin?«
»Ich würde lachen und
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