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Verliere nicht dein Gesicht

Verliere nicht dein Gesicht

Titel: Verliere nicht dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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blind sie war, und sie spürte einen kalten Schweißtropfen ihr Rückgrat hinunterlaufen. "Wen wollen wir denn überhaupt treffen?"
      "Er heißt David."
       "David? Das ist ein komischer Name." Für Tally klang er erfunden.        Abermals war sie sicher, dass alles nur ein Witz sein sollte. "Und er wird einfach so hier antanzen? Der Typ wohnt doch nicht wirklich in den Ruinen, oder?"
       "Nein. Er lebt ziemlich weit weg von hier. Aber er könnte in der Nähe  sein. Er kommt manchmal her."
      "Heißt das, er kommt aus einer anderen Stadt?"
      Shay sah sie an, aber Tally konnte in der Dunkelheit ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. "So ungefähr."
      Shay wandte ihren Blick wieder dem Horizont zu und schien auf ein Antwortsignal zu warten. Tally wickelte sich in ihre Jacke. Jetzt, wo sie hier herumstand, wurde ihr klar, wie kalt es inzwischen war. Sie hätte gern gewusst, wie spät es war. Ohne ihren Interface-Ring konnte sie das nicht feststellen.
      Der fast volle Mond stand jetzt tiefer am Himmel, Mitternacht musste also schon vorbei sein, das hatte Tally im Astronomieunterricht gelernt. Das war zumindest ein Vorteil daran, sich hier draußen aufzuhalten: Der ganze Naturkram, den man in der Schule lernte, wirkte hier viel nützlicher. Sie erinnnerte sich jetzt auch, wie in den Bergen Regen fiel und dann im Boden versickerte, ehe er mit Mineralien angereichert wieder hervorquoll. Dann strömte er zurück zum Meer und kerbte im Laufe der Jahrhunderte Flüsse und Schluchten in die Erdoberfläche. Wenn man hier draußen lebte, konnte man mit dem Hubbrett an den Flüssen entlangfliegen, wie in den ganz alten Zeiten, vor den Rusties, als die nicht ganz so verrückten Prä-Rusties in kleinen, aus Baumstämmen angefertigten Booten herumgefahren waren.
      Ihre Nachtsicht stellte sich langsam wieder ein und sie suchte den Horizont ab. Würden sie wirklich ein zweites Auflodern sehen, das Shays beantwortete? Tally hoffte auf das Gegenteil. Ihr war noch nie jemand aus einer anderen Stadt begegnet. In der Schule hatte sie gelernt, dass in manchen Städten andere Sprachen gesprochen wurden, dass die Leute dort erst mit achtzehn hübsch wurden, und dass es noch mehr bizarre Dinge dieser Art gab. "Shay, vielleicht sollten wir uns auf den Heimweg machen."
      "Lass uns noch ein bisschen warten."
      Tally biss sich auf die Lippe, "Hör mal, vielleicht ist dieser David heute Nacht nicht in der Nähe."
      "Ja, vielleicht. Vermutlich. Aber ich hatte gehofft, dass er hier sein würde." Sie drehte sich zu Tally um. "Es wäre so toll, wenn du ihn kennenlernen könntest. Er ist ... anders."
      "Klingt auch so."
      "Ich hab das hier nicht erfunden, weißt du."
      "Ja, ich glaub dir ja", sagte Tally, obwohl sie sich bei Shay nie ganz sicher war.
      Shay schaute wieder zum Horizont hinüber und nagte an ihrem Fingernagel. "Na gut, dann ist er wohl nicht in der Nähe. Wir können gehen, wenn du willst."
      "Es ist nur, weil es schon so spät ist und wir einen weiten Weg vor uns haben. Und ich muss morgen putzen."
      Shay nickte. "Ich auch."
      "Danke, dass du mir das gezeigt hast, Shay. Das alles war wirklich ungeheuer aufregend. Aber ich glaube, noch ein tolles Erlebnis würde mich umbringen."
      Shay lachte. "Die Achterbahn hat dich nicht umgebracht."
      "Aber fast."
      "Wirst du mir das je verzeihen?"
      "Dann sag ich dir Bescheid, Skelett."
      Shay lachte. "Na gut. Aber vergiss nicht, du darfst niemandem was von David erzählen."
      "He, das hab ich versprochen. Du kannst dich auf mich verlassen, Shay. Wirklich."
      "Alles klar. Dann verlass ich mich auf dich, Tally." Shay ging in die Knie und ihr Brett setzte zum Aufstieg an.
      Tally schaute sich ein letztes Mal um, musterte die unter ihr ausgebreiteten Ruinen, die dunklen Wälder, den wie Perlmutt schimmernden Fluss, der sich auf das leuchtende Meer zu schlängelte. Sie hätte gern gewusst, ob es da draußen wirklich jemanden gab oder ob David einfach eine Gestalt war, die die Uglies erfunden hatten, um sich gegenseitig Angst einzujagen.
      Aber Shay schien keine Angst zu haben. Sie wirkte ehrlich enttäuscht darüber, dass niemand auf ihr Signal geantwortet hatte, als ob eine Begegnung mit David noch schöner gewesen wäre als die Stromschnellen, die Ruinen und die Achterbahn.
      Ob es ihn nun gab oder nicht, dachte Tally, für Shay existierte David auf jeden Fall.
            ***
      Sie verließen das Gebäude durch das Loch in der Wand und

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