Verlobt für eine Nacht
während er ihr Kleid und das hochgesteckte Haar betrachtete.
Und charmant war sie auch. Leo musste daran denken, wie verlegen sie errötet war, als sie ihn im Slip gesehen hatte. Es war lange her, dass eine Frau die Flucht ergriffen hatte, weil er ihr ohne Kleidung gegenüberstand. Warum war Evelyn bloß so nervös? Schließlich waren sie einander ja nicht völlig fremd.
Ihm fiel ein, dass sie sich missbilligend über die lange Liste seiner Verflossenen geäußert hatte. Vielleicht hatte Evelyn Angst, ihr könnte dasselbe passieren? Gar keine schlechte Idee, dachte Leo.
Nein, sagte er sich dann. Immerhin war sie seine Assistentin, und er hatte in dieser Hinsicht feste Grundsätze. Das war in diesem Fall äußerst bedauerlich, doch er hatte diese Grundsätze bewusst aufgestellt. Und immerhin würde er sich nun nicht den ganzen Abend lang überwinden müssen, um einer Frau zuzulächeln, die ihn gar nicht interessierte. Im Gegenteil, es fiel ihm ganz leicht, ihr ein Lächeln zu schenken, als sie jetzt wieder zurückkam und schüchtern seinem Blick auswich.
Ja, sie war so perfekt, dass es beinahe unheimlich war, von ihrem karamellfarbenen Haar bis zu den lackierten Zehennägeln, die aus ihren hohen Sandaletten hervorblitzten. Und er hatte sich einmal allen Ernstes eine Frau mittleren Alters vorgestellt, die mittags gerne ein Nickerchen machte!
Leo stand auf und ging auf Evelyn zu, sodass sie gezwungen war, stehen zu bleiben. Trotz ihrer hohen Absätze war sie so viel kleiner als er, dass sie zu ihm aufblicken musste. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen hatten einen wachsamen Ausdruck, als wäre sie wieder kurz davor, die Flucht zu ergreifen. Aber das würde er nicht zulassen.
Nein, zuerst würde er Eric Culshaw davon überzeugen, dass Leo Zamos nicht nur ein absolut zuverlässiger Geschäftspartner, sondern auch ein grundsolider Familienmensch war. Und dafür musste er zuerst Evelyn davon überzeugen, dass sie nichts zu befürchten hatte.
„Sind wir spät dran?“, fragte sie angespannt. „Müssen wir los?“
Eigentlich hätte ihre Nervosität ihn stören müssen, da sie möglicherweise sein Vorhaben erschwerte. Doch es gefiel Leo, dass er offenbar so eine starke Wirkung auf sie hatte. Und auch sie selbst gefiel ihm außerordentlich gut. Vielleicht war Evelyn keine klassische Schönheit. Dafür waren ihre grünen Augen ein wenig zu groß und ihre Nase etwas zu schmal. Aber das wurde durch ihren breiten, sinnlichen Mund wieder ausgeglichen, der sicher so manchen Maler inspirieren würde und der Leo an lange, sinnliche Liebesstunden denken ließ.
Einen Moment lang hatte er das Gefühl, genau diese Züge schon einmal betrachtet zu haben, doch dann war die flüchtige Erinnerung – falls es überhaupt eine war – auch schon wieder weg. Außerdem war jetzt nur wichtig, dass Evelyn da war und er in Bezug auf den Abend ein gutes Gefühl hatte. Ein sehr gutes Gefühl sogar, dachte er lächelnd und erwiderte: „Noch nicht. Das Essen findet um acht in der Präsidentensuite statt.“
Evelyn blickte kurz auf ihre dezent glitzernde Uhr und bewegte sich fast unmerklich in Richtung Tür. „Vielleicht sollte ich mit den Angestellten sprechen und mich vergewissern, dass alles gut vorbereitet ist“, sagte sie. „Sie müssen ja auch Bescheid wissen, dass wir jetzt sechs Personen sind und …“
Gutmütig schüttelte Leo den Kopf. „Es läuft alles genau nach Plan, Evelyn“, beruhigte er sie. „Außerdem gibt es etwas viel Wichtigeres, was du jetzt tun solltest.“ Damit sie sich beide an ihre Rollen gewöhnten, wechselte er zur vertraulichen Anrede. Evelyn war so angespannt, dass sie dies gar nicht zu bemerken schien.
„Was denn?“, fragte sie und versuchte, ihre Nervosität zu verstecken, indem sie interessiert eine der Künstlerfotografien an der Wand betrachtete. Doch Leo wusste genau, wie er ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte.
„Du bist einfach perfekt“, sagte er und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die sich gelöst hatte. Er fühlte Evelyn erbeben, als er ihr Haar fast unmerklich berührte. „Ich kann mir keine bessere ‚Verlobte‘ für den heutigen Abend vorstellen.“
„Aber?“, fragte sie und wich ein wenig zurück.
„Kein Aber“, entgegnete Leo. „Wir sollten jetzt nur einiges absprechen, zum Beispiel für den Fall, dass uns jemand fragt, wie wir uns kennengelernt haben. Am besten halten wir uns so weit wie möglich an die Wahrheit. Du hast als Assistentin für mich
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