Verlockend untot
Hörnern.
»Was ist?«, fragte Pritkin steif.
Caleb zögerte und zuckte dann mit den Schultern. »Nichts. Bin nur noch nie einer Legende begegnet.«
»Eine Legende ist nur ein Mann, den die Geschichte verarscht hat«, sagte Pritkin schroff. »Ich bin dieselbe Person, die ich immer gewesen bin.«
»Ja, vielleicht. Aber es wird eine Weile dauern, sich daran zu ge-wöhnen.«
»Dann fang an.«
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir, während ich meinen Arsch für dich riskiere!«
»Und sieh du mich nicht so an, als wäre ich eine Art Laborprobe auf einem Objektträger!«
»Oh, ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich ein wenig traumatisiert bin …«
»Haltet ihr beiden jetzt endlich mal die Klappe?«, schrie ich.
Sie sahen mich an. Eigentlich hatte ich gar nicht schreien wollen, aber es schien funktioniert zu haben. Und Pritkin hatte recht. Wir mussten uns etwas einfallen lassen, bevor der pingelige Jonas mit seinen zu wachsamen blauen Augen und scheinbar unschuldigen Fragen erschien. Andernfalls saßen wir echt in der Patsche.
»Wir müssen irgendwie mit dieser Sache fertigwerden«, sagte ich.
»Ich glaube, da sind wir uns einig«, erwiderte Caleb sarkastisch.
»Ich hoffe, Sie haben eine Idee.«
»Die Leute mögen einfache Erklärungen«, sagte ich. »Erst recht dann, wenn es um seltsame Dinge geht.«
»Wer glaubt das?«
Alle Vampire, die ich kannte
, dachte ich, sprach die Worte aber nicht aus, weil es kaum geholfen hätte. »Es liegt in der menschlichen Natur«, fuhr ich fort. »Die Leute mögen keine komplizierten Antworten, sondern einfache, die man sich leicht vorstellen kann. Wenn man ihnen eine Lösung anbietet, eine sehr komplexe Wahrheit oder eine einfache Lüge, dann wählen sie in neunundneunzig von hundert Fällen die Lüge. Weil es einfacher ist.«
»Na schön. Und wie lautet Ihre einfache Lüge?«
»Sie lautet: Ich hab's getan.« Ich sah Pritkin an. »Wir sagen, ich hätte dich in eine Zeitblase gesteckt. Wie mit dem Apfel.«
»Aber das kannst du noch nicht.«
»Na und? Das weiß niemand.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass Jonas Bescheid weiß«, erwiderte Pritkin lakonisch. »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«
»Wir haben nichts anderes! Und die Zeit drängt…«
»Wovon redet ihr da?«, fragte Caleb.
»Von einem Trick«, sagte ich und wandte mich an ihn. »Allerdings, eigentlich ist es gar kein Trick, sondern etwas, das Agnes mit ihrer Macht anstellen konnte. Sie war imstande, die Zeit in einem kleinen Bereich schneller ablaufen zu lassen. Ich habe geübt…«
»Können Sie das?«, unterbrach mich Caleb.
»Rein theoretisch.«
Er fluchte.
»Hören Sie«, sagte ich ungeduldig, »es geht nicht darum, ob ich es kann oder nicht…«
»Worum geht es dann?«
»Darum, dass ich dazu in der Lage sein sollte! Eine richtige Pythia, ich meine, eine ausgebildete, müsste so etwas bewerkstelligen können. Den Leuten dürfte es wesentlich leichterfallen, sich so etwas vorzustellen, als eine ins Leben zurückgekehrte Legende, die in ihrer Kantine sitzt!«
»Falls Sie dazu imstande wären«, sagte Caleb. »Dann hätten Sie vielleicht recht. Aber der alte Knabe weiß, dass Sie dazu nicht fähig sind. Wie also soll uns das weiterhelfen?«
»Er weiß, dass ich es normalerweise nicht kann, aber das läuft nicht aufs Gleiche hinaus. Ich kriege es hin, nur nicht auf Anord-nung. Aber gelegentlich habe ich Glück, und meine Macht funktioniert. Was meistens immer in einer kritischen Situation geschieht, wenn ich sauer bin …«
»Das ergibt keinen Sinn«, warf Pritkin ein.
Ich sah ihn an. »Wie bitte?«
»Du hast es selbst gesagt: Du kriegst es hin. Du kannst deine Macht benutzen. Das hast du mehrmals bewiesen. Du beweist es immer dann, wenn du springst. Und die Macht ist die Macht. Sie verändert sich nicht. Nur die Art und Weise, wie du sie wahrnimmst, verändert sich.«
»Und das bedeutet?«
»Dass du in der Lage sein solltest, immer Gebrauch von ihr zu machen, wenn du in kritischen Situationen dazu in der Lage bist.
Hat Lady Phemonoe dir nicht gesagt, dass die Macht dich den Umgang mit ihr lehren würde, dass sie dir zeigen würde, was du mit ihr anstellen kannst?«
»Ja, und ich warte noch immer auf die erste Lektion …«
»Die Macht hat dir das eine oder andere gezeigt, oder? Oder hat sich Niall vielleicht von ganz allein in die Wüste teleportrert?«
»Niall?«, fragte Caleb.
»Jonas hätte nicht davon erzählen sollen«, erwiderte ich und errötete.
»Er wollte
Weitere Kostenlose Bücher