Verlockend untot
da war es, in einsamer Pracht an einer Schneiderbüste in der Mitte des Raums.
Für einen Moment starrte ich es einfach nur an und war mir nicht sicher, was sich meinen Blicken darbot. Denn es sah nicht nach einem Kleid aus, sondern nach einigen Drahtbügeln, die ein Saufgelage mit einem Haufen Papiertüten hinter sich hatten. Mit billigen Papiertüten. Von der braunen Art, die man im Lebensmittelladen erhält. Papier, das mehrmals recycelt wurde. Das Ergebnis war nicht nur hässlich, sondern auch traurig: ein trauriges braunes Papiertütenkleid mit etwas, das aussah wie …«
»Ah«, sagte Francoise leise.
Ich gab keinen Ton von mir, kniff die Augen zusammen und trat näher. Eine Bananenschale diente als Schulterpolster, mehrere aufgefädelte Flaschenverschlüsse als Halskette und ein gewölbter Dosendeckel als Gürtelschnalle. Ich bemerkte Kaffeesatz auf der Schulter, Rotwein an der Hüfte und am Mieder etwas, das eine vertrocknete Maus zu sein schien. Die ganze Angelegenheit sah aus, als hätte man sie durch Müll gerollt, bevor…
Und dann fiel bei mir der Groschen, und sprachlos vor Zorn stand ich da.
»Na schön«, brachte ich schließlich mit vibrierender Stimme hervor. »Ich habe also eins von seinen Kleidern versaut, oder auch zwei, allerdings in Ausübung meiner Pflicht und ohne eigenes Verschulden. Und deshalb macht er ein Kleid aus Müll für mich? Um es mir heimzuzahlen?«
Francoise sah mich nur an, mit schrecklichem Mitleid in ihren Augen, »'ier ist eine Karte.«
Und da war sie, am Kleid befestigt, direkt über der vertrockneten Maus. Ich riss sie ab und las:
»Bei diesem Kleid wollte ich dir die Mühe ersparen. Du bekommst dein echtes Kleid, wenn es fertig ist, nicht eine Sekunde vorher. Und jetzt verschwinde aus meiner Werkstatt. – A.«
Ich sagte einige kreative Dinge über das kreative Genie, bis mir die Luft wegblieb. »Es ist nicht nett«, pflichtete mir Francoise bei.
»Aber es lässt sich nicht ändern.«
Für einen Moment stand ich einfach nur da und stellte mir Augustines Gesicht vor, wenn ich das Kleid eines anderen Modeschöpfers trug. Aber ich kannte keine anderen Modeschöpfer, zumindest keine magischen, und ich konnte nicht einfach losziehen und einen suchen. Außerdem bezweifelte ich sehr, dass ich jemanden finden würde, der es mit meiner Konkurrenz aufnehmen konnte.
Ich brauchte ein Kleid, und zwar ein gutes. Zum Glück war ich von guten Kleidern umgeben. »Wann kehrt er zurück?«, fragte ich rasch.
Francoise kniff die Augen zusammen. »Warum?«
»Weil ich Lust habe, ein bisschen zu shoppen.«
Sieben
»Schon besser«, sagte Marco anerkennend, als ich eine halbe Stunde später durch die Tür der Suite wankte.
»Ich dachte, sie sollten helfen«, keuchte ich und nickte meinen Schatten zu. Der Kopf war der einzige Körperteil, den ich bewegen konnte, denn alle anderen waren mit Taschen, Schachteln und Pa-keten beladen.
»Wir müssen die Hände für unsere Waffen frei haben«, behauptete einer von ihnen.
»Ihr beide?«
»Sie haben viele Feinde.«
»Und jetzt habe ich viele überanstrengte Muskeln!«, erwiderte ich scharf und taumelte ins Wohnzimmer.
»Der Magier ist hier«, warnte mich Marco.
»Pritkin?«, fragte ich, und mein Kopf kam nach oben.
»Nein. Der alte. Und ein Bursche mit geöltem Haar.«
Wer Geöltes Haar war, wusste ich nicht, aber Der Alte konnte nur Jonas Marsden sein, das derzeitige Oberhaupt des Silbernen Kreises.
Das wusste Marco natürlich, aber Vampire waren nicht besonders glücklich, wenn Magier aufkreuzten. Und für ihren Anführer galt das in besonderem Maße.
Jonas stand auf, um mir zu helfen, als ich ins Wohnzimmer torkelte, und ich warf Marco einen scharfen Blick zu. Was mir einen zugeworfenen Kuss einbrachte und den Magiern das stumme Versprechen, draußen einsatzbereit zu warten, falls sie von irgendwelchen infamen Zaubertricks Gebrauch machen wollten, um mit mir zu verschwinden.
»Tut mir leid, dass ihr mich nicht angetroffen habt«, schnaufte ich. »Aber ich dachte, dass wir uns erst um drei treffen.«
»Schon gut. Ich hätte anrufen sollen«, sagte Jonas freundlich. »Ich würde gern mit Ihnen reden, wenn Sie einen Moment Zeit haben.«
»Über gestern Abend?«
»Oh, hoffentlich nicht«, erwiderte er, was bei jemand anderem seltsam geklungen hätte. Aber Jonas war immer etwas seltsam.
So kannte ich außer ihm niemanden, dessen Haar noch schlimmer war als Pritkins. An diesem Tag wirkte es wie aufgebläht: ein prächtiger,
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