Verlockend untot
hinter sich.
»Agnes«, keuchte ich. Der Rauch brannte in meiner Kehle; das Atmen und Sprechen fiel mir schwer. »Sie kann die Zeit kurzfristig manipulieren, sie langsamer verstreichen lassen oder ganz anhalten.
Sie muss ihn erkannt haben …«
»Wen?«
»Den Burschen von der Gilde«, sagte ich und versuchte verzweifelt, ihn in der Menge zu finden. Aber in all dem Rauch konnte man kaum etwas sehen, und die meisten Leute waren größer als ich. Ich hob den Saum meines Kleids und kletterte auf den nächsten Tisch.
»Von welcher Gilde?«, fragte Mircea, aber ich antwortete nicht.
Ich konnte jetzt über die Leute hinwegsehen, den Rauch jedoch nicht mit meinen Blicken durchdringen. Weiter hinten im Raum geschah etwas: Zauberfeuer flackerte dort an mehreren Stellen, wie Stroboskoplicht auf einem Tanzboden. Die meisten Farben lagen im roten und orangenen Bereich: offensive Magie, Kriegszauber. Es waren nicht die sanften blauen und grünen Töne der beruhigenden anderen Seite des Spektrums.
Ich sprang vom Tisch und lief.
Mircea packte mich, bevor ich auch nur einen Meter weit gekommen war. Und dann warf er uns beide zu Boden, als ein ungezielter Zauber über uns durch den Rauch gleißte. Er traf das Fenster weiter hinten, ließ das Glas zerspringen und setzte die Brokatvorhänge in Brand. Noch mehr Rauch zog umher und machte das Atmen zur Qual.
»Lass mich los!«, brachte ich mühsam hervor. »Er bringt sie um!«
»Wen?«
»Meine Mutter!«
»Und wer bringt sie um?«
»Der Mistkerl von der Gilde!«
»Hör mir zu.« Warme Hände umfassten mein Gesicht, und dunkle Augen sahen mich an. Ich fühlte die beruhigende Wirkung, die Mircea auf mich entfaltete, stärker werden. Sie vertrieb die Sorge aus mir und brachte Frieden, nahm mir aber auch meine Entschlossenheit. »Was auch immer vor sich geht, es hat keinen Erfolg«, versicherte mir Mircea. »An diesem Abend ist nichts Wichtiges geschehen. Meine Männer haben den Auftrag…«
»In der Vergangenheit, die wir kennen, ist an diesem Abend nichts geschehen«, sagte ich, wütend darauf, nicht länger wütend zu sein. »Aber jetzt passiert etwas, und wenn du nicht auf mich hörst…«
Mircea hörte nicht auf mich. Er zog mich auf die Beine und schlang mir den Arm um die Taille, zog mich dann durch die Menge zum nächsten Ausgang.
Plötzlich wich er wieder zurück.
Ich stellte fest, dass ich rückwärtsging und die Bewegungen meines Körpers nicht mehr kontrollieren konnte – die Beine machten genau das Gegenteil von dem, was ich wollte. Ich versuchte zu reden, brachte aber nur einige unartikulierte Laute hervor, die keinen Sinn ergaben. Für einen Moment geriet ich in Panik und befürchtete, wieder besessen zu sein. Bis ich die Vorhänge sah.
Eben noch hatte der rote Damast gebrannt. Flammenzungen hatten über den dicken Stoff geleckt, der dort, wo ihn die Hitze des Feuers erreichte, dunkel geworden war. Jetzt geschah das Gegenteil.
Dunkler Stoff wurde wieder heller und zeigte prächtige Muster. Die Flammen wichen zurück und vereinten sich zu einer feurigen Kugel, die vom Fenster dorthin zurückkehrte, woher sie gekommen war.
Auch die Fliehenden bewegten sich in die falsche Richtung. Von Panik gezeichnete Gesichter entfernten sich von mir, als ich rückwärts auf den Tisch sprang und dann wieder von ihm herunter. Ich kehrte zum Tablett zurück, starrte dort den Magier mit dem Sekt auf dem Hemd groß an. Und dann war ich in Mirceas Armen vor dem Fenster, als sei überhaupt nichts geschehen. Weil noch nichts geschehen war.
Die Zeit ruckelte und bebte um mich herum, bevor sie wieder zu verstreichen begann, und diesmal zögerte ich nicht. Ich stieß Mircea zurück und stürzte mich auf den Magier.
Wir gingen zusammen zu Boden. Ich packte den Burschen an der Taille und dann am Bein, als er versuchte, mich abzuschütteln.
Er warf etwas auf den Boden, und Rauch wallte um uns herum, dicht und stechend. Ich hielt den Magier fest, bis mich ein glänzender Stiefel an der Wange traf und zurückstieß. Doch in dem Moment hatte Mircea den Burschen bereits am Kragen gepackt und zerrte ihn nach oben … Plötzlich sauste er fort, wie von einer Kanone abgefeuert.
Ich sah nicht, wie Mircea gegen die Wand prallte, zu Boden rutschte, sofort wieder auf die Beine kam und zum Angreifer stürmte, denn es geschah alles im Zeitraum eines Blinzeins. Aber ich beobachtete, wie er mitten im Sprung verharrte, als hielte die Zeit an.
Sie hielt tatsächlich an, allerdings nur für mich,
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