Verlockend untot
Beruhigung gebrauchen.
»Du hast von deiner Zeit als Junge gesprochen.«
»Ah, ja, die Schwierigkeiten der Kindheit«, sagte Mircea, und seine starke Hand strich mir über den Oberschenkel. »In einer meiner frühesten Erinnerungen schickt man mich nackt nach draußen, damit ich im Schnee spiele.«
»Nackt?«
»Ja. Es war nicht sehr schlimm, wenn die Sonne schien, aber nach dem Dunkelwerden…«
»Nach dem Dunkelwerden?«
»… wurde es ein bisschen kalt.«
Ich sah ihn groß an. »Wie alt warst du damals?«
Er zuckte mit den Schultern. »Drei oder vier.«
»Aber… warum sollte jemand so etwas tun?«
»Um den Leuten meine Fitness zu zeigen. Ich war der Erbe meines Vaters. Zwar hatte er zu jener Zeit keinen Thron, den er mir hinterlassen konnte, aber er war absolut sicher, dass der Thron eines Tages ihm gehören würde.«
»Ja, aber das Leben eines Kindes zu riskieren …«
»Das Leben war damals ein Risiko. Und als ich jung war, gab es keine Kindheit in dem Sinne. Nicht für Bauernkinder, die mit sieben Jahren auf den Feldern zu arbeiten begannen. Und auch nicht für die Kinder der adligen Familien.«
»Es klingt nicht nach viel Spaß.«
»Oh, manchmal hatten wir Spaß. An Festtagen gab es Puppentheater, und im Winter konnten wir Schlitten fahren. Mit fünf Jahren war ich imstande, ein Pferd im vollen Galopp zu reiten, wie meine Brüder, von Radu abgesehen«, sagte er und nannte den Namen seines jüngsten Bruders. »Er hatte große Angst vor Pferden und brauchte länger, um mit ihnen zurechtzukommen. Ich weiß Bescheid, denn ich brachte ihnen das Reiten bei.«
»Ihnen?«
»Ihm und Vlad«, sagte Mircea, und sein Lächeln verblasste. Ich blieb stumm, fluchte aber innerlich. Es geschah selten genug, dass Mircea über seine Familie sprach, und dieses besondere Thema war bestens geeignet, ihn zum Schweigen zu bringen. Doch zu meiner Überraschung sprach er diesmal weiter.
»Radu sah auf einem Pferd schrecklich aus«, sagte Mircea nach einem Moment.
»Ich ebenfalls«, räumte ich ein. Rafe hatte versucht, mir das Reiten beizubringen, und es schließlich aufgegeben.
»Aber du brauchst auch keine Angriffe auf dem Schlachtfeld zu fuhren, Dulceata. Im Gegensatz zu Radu! Mein Vater löste das Problem schließlich, indem er ihn auf das größte Pferd im Stall band und ihm sagte, dass er dort bleiben würde, bis er richtig reiten konnte.«
»Und hat er richtig reiten gelernt?«
Mircea sah zu mir hoch und zeigte seine Kehle, als er den Kopf nach hinten neigte. Damit entblößte er eine verwundbare Stelle, was bei Vampiren ein Zeichen von Vertrauen war. »Mit verblüffendem Eifer.«
Ich blickte in die großen dunklen Augen, fasziniert vom zufriedenen Humor im attraktiven Gesicht, von den Fältchen in den Augenwinkeln, den perfekten weißen Zähnen und der Zunge hinter ihnen.
Ohne einen bewussten Gedanken hörte meine Hand auf, ihm durchs seidene Haar zu streichen, glitt zum Nacken und kroch von dort nach vorn zur Kehle.
Die meisten Vampire wären zurückgewichen oder zumindest zusammengezuckt. Mircea sah mich nur an mit Augen, in denen kein amüsiertes Lächeln mehr glänzte. Etwas Dunkles lag in diesen Tiefen, etwas Leidenschaftliches und Besitzergreifendes, das mich schneller atmen ließ und meine Hand veranlasste, sich etwas fester um die Kehle zu schließen. Deutlich fühlte ich seinen Puls.
Natürlich musste sein Herz gar nicht schlagen, aber er wusste, dass es mir gefiel, und deshalb vergaß er es nur selten. Er erinnerte sich auch immer daran, zu atmen, wenn ich in der Nähe war, zu blinzeln und all die anderen Dinge zu tun, die ihn menschlich erscheinen ließen, obwohl er seit fünfhundert Jahren kein Mensch mehr war.
Doch mir kam er sehr lebendig vor. Es fiel mir sehr, sehr schwer, einen Untoten in ihm zu sehen.
»Du solltest mich in der Öffentlichkeit nicht so ansehen, Dulceata«, murmelte er. Seine Hand strich mir übers Bein. »Es weckt den Wunsch in mir, den Abend kurz zu machen.«
»Wie kurz?«
Seine Finger drückten plötzlich zu. »Sehr kurz.«
Für einen Moment erschien mir das als wirklich gute Idee. Aber wenn ich jetzt mit Mircea aufbrach … Ich wusste, wie dann der Rest des Abends verlaufen wäre; viel gesprochen hätten wir bestimmt nicht.
Ich befeuchtete mir die Lippen und trat zurück. »Du hast mir von deiner Mutter erzählt.«
Mircea schwieg einige Sekunden, und als er wieder den Blick auf mich richtete, wirkte er nicht verärgert. Ganz im Gegenteil: Er schien sich
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