Verlockende Angst
mit ihm verbringen müsstest, könntest du das verstehen. «
Seine grauen Augen richteten sich auf meinen Mund– und er hatte gesehen, wie Seth meine Lippen berührt hatte. » Vermutlich. «
» Was führt dich hierher? « Das klang schroff und war meine Reaktion auf die Kälte seines Blicks. Außerdem leckte ich mir noch immer die emotionalen Wunden, die er mir zugefügt hatte.
» Ich habe dich seit Tagen nicht gesehen und wollte nach dir sehen. «
Trotz der kalten Luft wurde mir ganz warm und ich hasste mich dafür. » Wieso? «
Er hob den Kopf. » Darf ich das nicht? «
Bei der Vorstellung, dass Aiden nach mir gesucht hatte, pochte mein Herz vor Freude. Mein Hirn dagegen befahl mir brutal, ihn links liegen zu lassen. Ich blieb stehen. » Doch, schon. «
» Darf ich dich zurückbegleiten? «
» Ist das denn erlaubt? Ich meine… schreitet niemand ein, wenn ein Reinblut mit einem Halbblut gesehen wird? So etwas habe ich in diesem Covenant noch nie beobachtet. « Ich hielt inne und runzelte die Stirn. » Wie mir scheint, reden hier auch Reinblüter nie mit Halbblütern. «
» Minister Tellys Art, den Rat und den Covenant zu leiten, ist ein wenig archaisch. Er möchte, dass alles so bleibt, als wären die Veränderungen von Jahrhunderten nie geschehen– er befürwortet die strikte Trennung von Völkern und Rassen. «
Gemeinsam gingen wir zurück in Richtung Hauptgebäude. » Also deshalb habe ich auch keine Sterblichen gesehen. «
Aiden nickte. » Ich glaube, Minister Telly würde am liebsten vollständig zur alten Lebensweise zurückkehren. In eine Zeit, als jeder Bereich des Lebens den Göttern gewidmet war. Er findet sogar, wir sollten keinerlei Kontakt zu Sterblichen pflegen, nicht einmal durch geistigen Zwang. «
» Woraus will er dann sein Heer aus halbblütigen Daimonenjägern aufbauen? « , fragte ich trotzig. » Er meint, es sollte gar keine Halbblüter geben, stimmt’s? «
» Er findet, Reinblüter sollten ganz auf jene fleischlichen Aktivitäten verzichten, durch die kleine Halbblüter gezeugt werden. Und wir müssten selbst in der Lage sein, uns gegen die Daimonen zu verteidigen. «
Ich strich mir eine schlammverklebte Haarsträhne aus dem Gesicht. » Und woher wollt ihr dann die Dienstboten nehmen? Sollt ihr euch tatsächlich selbst versorgen? «
Aiden betrachtete den bewölkten Himmel. » Derzeit leben auf der Welt so viele Halbblüter, dass sie den Reinblütern für mehrere Generationen reichen müssten. Keine Ahnung, was Telly anschließend vorhat. «
» Dann will er also alle Halbblüter versklaven? Nett. Hatte ich doch allen Grund, ihn für einen Oberdeppen zu halten. Da war mein Urteilsvermögen gar nicht so übel, wie ich dachte. «
Ein merkwürdiger Ausdruck trat auf Aidens markantes Gesicht. » Wie kommst du auf den Gedanken, dein Urteilsvermögen sei schlecht? «
Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
Er nickte steif. » Verstanden. «
Schweigend schlenderten wir weiter. » Und… wie gefällt es dir hier? «
Ich befeuchtete mir die Lippen und dachte an Hector. » Mir fehlt… mein Zuhause. «
Aiden betrachtete wieder den bedeckten Himmel. » Mir auch. «
Als wir uns dem Ratsgebäude näherten, ging ich ein wenig dichter neben ihm her. Daran konnte niemand etwas aussetzen. Aiden war mein Freund– nur ein Freund. » Ich fühle mich in dieser Umgebung nicht wohl. Hätte ich die Anhörung doch nur hinter mir! Dumm, dass ich die ganze Zeit hier sein muss, obwohl meine Anhörung erst am Ende der Sitzungsperiode eingeplant ist. Ach so, und wie waren die Anhörungen bisher? «
» Vor allem lang. Der Rat verbringt mehr Zeit mit Streitigkeiten als mit allem anderen. «
Das überraschte mich nicht. » Wurde schon darüber gesprochen, dass mittlerweile auch Halbblüter umgedreht werden? «
Plötzlich wirkte Aidens Miene leer. » Diese Diskussion sorgt für den meisten Streit. Aber sag mal, was hast du heute Abend vor? «
» Was ich vorhabe? « Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken. » Duschen. «
Aiden lachte und in meinem Bauch breitete sich ein Schwarm warmer Empfindungen aus. Ich hatte das Gefühl, ihn seit Jahren nicht mehr lachen gehört zu haben. » Im Moment siehst du ziemlich zerzaust aus. «
Ich seufzte mitleiderregend. » Ich weiß. Ich glaube, ich habe sogar Schlamm im Mund. «
» Vielleicht habe ich ja etwas, damit du dich besser fühlst. « Er griff in die Tasche und zog eine zehn Zentimeter lange schwarze Röhre hervor.
» Was ist das? «
Aiden
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