Verlockende Versuchung
eigenartiges Glücksgefühl in sich aufsteigen.
»Oder Euer Bruder Justin.«
Justin, erkannte er trocken. Natürlich.
Der Druck auf ihre Finger wurde stärker. » Ich verspreche, dass alles hier sein wird, wenn ihr wieder erwacht.«
Ihre Lider wurden schwer, sie war im Begriff einzuschlafen. Ein zartes Seufzen entwich ihrem süßen Mund. »Dieser Raum ... er ist so wundervoll. Wirklich, das ist er. Oh, Sebastian, ich ... ich wünschte, ich könnte für immer hier bleiben. «
Sebastians Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte nicht wegen Harry geweint, sondern wegen dieser erbärmlichen Haube. Er hätte über das j ämmerliche Bild gelacht, das sie abgab, mit ihrer zerschlissenen Haube, die ihr schief in die Stirn hing, wenn das Ganze nicht gleichzeitig so traurig gewesen wäre. Sie sah derart ergreifend und Mitleid erregend aus. Obschon sie schwach wie ein kleines Kätzchen war, hatte sie versucht, gegen ihn anzukämpfen - es war nicht nur ein Wortgefecht gewesen, sondern ein Kampf im wahrsten Sinne des Wortes! Er unterdrückte ein Schmunzeln, als er daran dachte, wie sie ihm einen Kinnhaken versetzen wollte. Außer Julianna war er bisher keiner Frau begegnet, die so viel Mut besaß. Dennoch war diese aufsässige Miss Devon St. James so zerbrechlich, dass er sich kaum traute, sie zu berühren.
Andererseits konnte er damit jedoch auch nicht aufhören.
Sie bewegte sich leicht und murmelte im Schlaf.
Langsam fuhr er mit der Spitze eines Fingers die zierliche Kurve ihrer Nase nach, die köstliche Fülle ihrer Lippen und das wohl geformte, zarte Kinn. »Schsch«, flüsterte er. Eine seltsame Empfindung machte sich in seinem Magen breit, und er musste tief Luft holen. Großer Gott, sie war wunderschön, ihr anmutiger und makelloser Teint, die perfekt geschwungenen Lippen, die Haut so weich und perlmuttfarben.
Schnell zog er seine Hand zurück.
Erpressung, entschied er düster. Emotionale Erpressung eines heimatlosen Mädchens und des Schurken eines Bruders. Er wusste nicht, wie oder warum es passiert war, doch er war verzaubert. Zumindest entwaffnet.
Er konnte sie nicht hinauswerfen. Selbst wenn er wollte.
Selbst wenn sie das gesamte Silber stehlen sollte.
Siebtes Kapitel
Am darauf folgenden Tag betrat Justin spätabends das Arbeitszimmer seines Bruders.
»Ich habe Avery geschickt, um Devons Geschichte überprüfen zu lassen.«
Avery war seit fast zwanzig Jahren im Dienst der Familie tätig, und seine Treue war über alle Zweifel erhaben. Sebastian konnte darauf vertrauen, dass der Lakai seinen Auftrag für sich behalten würde.
Die Ungeduld in Sebastians Stimme war nicht zu überhören. »Und?«
»Alles deutet darauf hin, dass sie die Wahrheit sagt, w as ihre Bleibe und ihren Arbeitsplatz betrifft.«
»Und was ist mit dem Paar, das ihr begegnet ist? Harry und Freddie?«
»Ich würde sagen, dass sie Glück hatte, überhaupt mit dem Leben davongekommen zu sein. Falls sie Freddie erstochen hat, tat sie es sicherlich aus Notwehr. Ich wünschte, Harry würde seinem Bruder ins Totenreich folgen. Damit würde er der Welt einen Gefallen tun. «
Sebastian nickte. »Sag Avery, dass er die Augen und Ohren offen halten soll.«
»Ist bereits erledigt«, sagte Justin leichthin.
Nachdem Justin gegangen war, machte sich Sebastian wieder an die Arbeit. Arbeit! Es war unmöglich! Er versuchte, Averys Erkundigungen über Devon aus seinen Gedanken zu vertreiben. Doch dies er-wies sich als ebenso unmöglich, wie sie selbst aus seinem Kopf zu verbannen. Die Angst, die er in diesen wunderschönen goldenen Augen wahrgenommen hatte, ließ ihm keine Ruhe.
Er konnte immer noch ihre kleinen, eisigen Finger in den seinen spüren.
Es fraß ihn schier von innen auf, bis er es nicht länger ertragen konnte.
Obwohl die Idee, die ihm in den Sinn kam, nicht nur unklug, sondern geradezu töricht war. Und grauenvoll impulsiv! Die Ungewissheit war j edoch keine Sekunde länger mehr auszuhalten.
Erst wenn er mit eigenen Augen gesehen hatte, woher Devon stammte, würde er zufrieden gestellt sein.
Eine Stunde später saß Sebastian zwischen den Hafenarbeitern, die sich im Crow's Nest den Bauch voll schlugen. Er trug Kleidung aus grobem Wollstoff und fiel unter den anderen Gästen nicht auf. Seinem Weitblick hatte er es zu verdanken, dass er lediglich einige müde Blicke auf sich gezogen hatte, als er sich unter dem Schild hindurchbückte, das am Eingang der Spelunke angebracht war, und in die dunkle, schwach beleuchtete
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