Verlockendes Dunkel
der Schneiderin endeten jedenfalls stets in schlechter Stimmung und anhaltendem Schweigen. Und lösten das unwiderstehliche Bedürfnis bei Elisabeth aus, aus purem Trotz etwas Süßes zu essen.
Sie riskierte es, mit einer Hand über die Biegung ihrer Hüfte zu streichen und sich an dem Gefühl der kühlen hellen Seide unter ihren Fingern zu erfreuen. »Vielleicht solltest du mir einfach einen Sack überwerfen und uns die Mühe ersparen.«
»Sei nicht vorlaut, Liebes!«, war die Antwort ihrer Tante, die sich in einem Lehnstuhl am Feuer niederließ und in einer müden Geste ihre Schläfen rieb.
Miss Havisham richtete sich mit einem zuvorkommenden Lächeln auf. »So, Miss Fitzgerald. Sie können das Kleid jetzt wieder ausziehen.«
Mithilfe ihrer Zofe und der Schneiderin wand Elisabeth sich aus der Seidenrobe.
»Die Änderungen werden bis morgen fertig sein. Oh, es wird bezaubernd sein, das Kleid. Sie werden traumhaft schön darin aussehen. Mr. Shaw wird denken, dass er einen Engel heiratet.«
Elisabeth blickte sich im Spiegel an und bezweifelte, dass selbst die teure und exklusive Dubliner Modistin eine solche Verwandlung bewirken konnte. Aber es war ein erfreulicher Gedanke, Bewunderung in Gordons Augen aufblitzen zu sehen, wenn er sie in der cremefarbenen Spitzen- und Seidenkreation erblickte.
Miss Havisham plauderte weiter, während sie ihre Sachen packte. »Gott, wie aufregend das sein muss! Mit all Ihren Angehörigen um sich und der Vorfreude, ein neues Leben mit einem so angesehenen und gut aussehenden jungen Mann zu beginnen.«
»Aufregend war es beim ersten Mal«, nörgelte Tante Fitz. »Diesmal ist es nur noch strapaziös.«
Elisabeth spürte, wie ihr das Blut in Nacken und Wangen stieg. Bei anderen mochten die Augen der Spiegel der Seele sein, in ihrem Fall jedoch offenbarten sich alle Gedanken und Gefühle durch rote Flecken in ihrem Gesicht. Was kein schönes Bild war in Verbindung mit ihrem leuchtend roten Haar. »Du hättest ja auch nicht so viel Aufhebens um die Hochzeit machen müssen. Eigentlich wäre es mir sogar lieber gewesen, wenn du es gelassen hättest.«
Die Lippen ihrer Tante verzogen sich zu einem verständnisvollen Lächeln. »Ich weiß, Kind, aber das hätte Tante Pheeney uns nie verziehen. Du weißt, wie sehr sie großes Trara liebt. Lass uns nur hoffen, dass diese Hochzeit problemlos abläuft. Ich habe nicht die Kraft für eine dritte. Und weder du noch ich werden jünger. In diesem Sommer wirst du sechsundzwanzig. Die meisten deiner Freundinnen sind längst verheiratet und haben volle Kinderzimmer.«
Elisabeth hielt still, als ihre Zofe die Bänder ihres Kleides befestigte. »Danke, dass du mich an meine nahende Altersschwäche erinnerst.«
»Ich sage nur, dass es für eine Frau ab einem gewissen Alter schwieriger wird, die Männer zu …«
»Ich weiß, was du meinst, Tante Fitz. Und du hast ja auch recht. Ich habe eben nur lange gebraucht, um einen passenden Mann zu finden. Jemanden, den ich genügend respektieren kann, um ein gemeinsames Leben mit ihm aufzubauen. Und Gordon Shaw ist dieser Mann.«
»Das hoffe ich doch sehr, denn sonst hätten wir uns die ganze Mühe umsonst gemacht – schon wieder«, murmelte Tante Fitz, ehe sie beim Anblick von Elisabeths Stirnrunzeln ein fröhliches Lächeln aufsetzte. »Nein, du hast schon recht, Lissa. Er ist ein feiner Mensch und passender Ehemann.«
Lissa. Warum benutzte ihre Tante diesen albernen Kosenamen aus ihrer Kindheit? Wollte sie sie ausgerechnet jetzt, da sie dringend Selbstvertrauen brauchte, durcheinanderbringen? Oder war es nur ein Versprecher gewesen nach einem endlosen Tag von Hochzeitsvorbereitungen?
Nur ein einziger anderer Mensch hatte es je gewagt, sie nach ihrem zehnten Geburtstag noch Lissa zu nennen. Ein unerträglicher, unverschämter, gewissenloser, elender Schuft.
Der gar nicht so ehrenwerte Brendan Douglas.
Musik erreichte sie. Selbst in Elisabeths Schlafzimmer, weit entfernt von dem Licht, den Farben und der Heiterkeit im Salon unten, umtanzten sie Klänge von Mozart wie Gespenster. Ausgerechnet der zweite Satz seines Klavierkonzertes No. 27, das sie einmal für ihr Lieblingsstück gehalten hatte. Aber das war vor vielen Jahren gewesen; heute ging es ihr nur noch auf die Nerven, die vertrauten Töne zu hören.
Zuerst Tante Fitz, die sie Lissa genannt hatte, und jetzt das. Erinnerungen hingen heute Abend schwerer in der Luft als seit vielen Jahren. Wie ein Nebel, der in ihrer Kehle klebte und ihr den
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