Verlockendes Dunkel
Gespräch mit einem Herrn vertieft, den Elisabeth nicht kannte. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um einen der Dubliner, die von der gutmütigen Tante Pheeney eingeladen worden waren, weil sie glaubte, jeder, mit dem sie auch nur ein paar Worte wechselte, verdiene eine Einladung.
Gordon und sein Halbbruder Marcus standen bei einer Gruppe solide gekleideter Begleiter. Gordons gutes Aussehen und seine athletische Gestalt zogen wie immer die Blicke aller Frauen im Raum auf sich. Elisabeth straffte die Schultern und setzte ein Lächeln auf. In ein paar Tagen würde dieses absurde Theater vorbei sein – und sie eine verheiratete Frau.
»Komm, Elisabeth! Alle warten schon auf dich«, drängte Tante Pheeney. »Seht her, hier kommt die Braut.«
Die Musik verstummte, aber nur für einen Moment, bevor das Quietschen der Violinen erneut begann. Jetzt tanzten andere Paare, nur an den Tanzschritten selbst änderte sich nichts.
Elisabeth hielt sich zurück, da sie ein bisschen außer Atem war und ein komisches Gefühl im Magen hatte. »Lass mir einen Moment, damit ich mich sammeln kann! Dann komme ich.« Auf den skeptischen Blick ihrer Tante fügte sie hinzu: »Versprochen«, und küsste die alte Dame auf die weiche, trockene Wange.
Tante Pheeney tätschelte ihr die Hand. »Na schön, mein Kind. Aber nur einen Moment.«
Elisabeth betrachtete die Szene, die sich ihr bot, wie ein kleines Mädchen, das sich aus dem Kinderzimmer geschlichen hatte, um einen Blick auf die Mutter und den Vater unter all den geröteten, lachenden Gesichtern zu erhaschen.
Noch lange, nachdem ihre Eltern im Ausland verstorben waren und Tante Fitz und Tante Pheeney die aufwendigen Bälle und fröhlichen Gesellschaften gegeben hatten, war Elisabeths Blick stets über das lebende Bild vor ihr geglitten, als könnte sie das tizianrote Haar ihrer Mutter oder den breiten Rücken ihres Vaters in der Menge sehen.
Mit einem tiefen Atemzug trat sie aus den schützenden Schatten der Halle in das Licht von tausend Kerzen. Sofort hob Gordon ein Monokel an sein Auge und musterte sie einen langen Moment, bevor er es mit einem fragenden Funkeln in den Augen wieder sinken ließ.
Elisabeth versuchte, entschuldigend zu lächeln, aber nach einem kumpelhaften Schulterklopfen seiner Freunde hatte er sich ihnen schon wieder zugewandt und stimmte in ihr ausgelassenes Gelächter ein.
Ein anderer musste jedoch erst noch wegsehen. Der Fremde, der bei Onkel McCafferty stand, maß sie mit einem derart intensiven Blick, dass ihr die Röte in die Wangen stieg – bis sie merkte, dass es nicht ihr Gesicht war, das er anstarrte, sondern ihre Brust. Und obwohl er nicht der erste Mann war, der sich so etwas erlaubte, ärgerte es sie trotzdem. Soll er doch glotzen!, dachte sie. Was kümmerte sie das? Und dennoch hob sie das Kinn, um seinen festen Blick mit einem ebenso festen zu erwidern.
Er war um einiges größer als ihr Onkel, vielleicht sogar so groß wie Gordon. Doch während ihr Verlobter wie ein Ringer gebaut war, zeugte die durchtrainierte Schlankheit dieses Mannes von Beweglichkeit und Finesse. Er kämpfte mit dem Schwert und nicht mit seinen Fäusten.
Seine Augen verengten sich, als er sich ein wenig vorbeugte, um an seinem Wein zu nippen und ein paar Worte an Onkel McCafferty zu richten. Aber selbst dabei wandte er nicht den Blick von ihr. Er hatte etwas an sich, das Elisabeth bekannt vorkam. Seine Haltung vielleicht? Oder die dichten, dunklen Augenbrauen? Als er den Blick endlich von ihren Brüsten zu ihrem Gesicht erhob, spielte ein freches, anzügliches Lächeln um seinen Mund. Die Hitze, die Elisabeth erfasste, drohte sie schier zu versengen. Nein, so einen unverfrorenen, respektlosen Mann wollte sie gewiss nicht kennen!
Hocherhobenen Hauptes raffte sie ihre Röcke und stürzte sich ins Getümmel.
Die Stunden vergingen in einem Dunst von Gesprächen und Musik. Elisabeth ließ kaum einen Tanz aus und wechselte von Partner zu Partner, da jeder Mann ihr Komplimente zu ihrem Aussehen machen und ihr zur Hochzeit gratulieren wollte. Gordon bat natürlich um den ersten Tanz. Als er sie zur Tanzfläche führte, hielt er ihre Hand so fest, als könnte sie versuchen zu entkommen. Zur Wahl ihres Halsschmuckes bemerkte er nur: »Tut mir leid, dass mein Geschenk dir nicht gefällt. Wenn du möchtest, können wir etwas anderes aussuchen, das eher deinem Geschmack entspricht.«
Ein jähes Schuldbewusstsein beschlich Elisabeth, das sie strahlender lächeln ließ, als sie es
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