Verloren unter 100 Freunden
einen Gerätebereich, wo es nicht Ziel ist zu gewinnen, sondern drinzubleiben. Spielsüchtige wollen einfach nur im Spiel bleiben, bequem in einem Muster, wo alles andere ausgesperrt ist. Um zu verdeutlichen, was sie meint, zitiert Schüll meine Arbeit über die Psychologie der Videospiele. 13
Von Anfang an ging es Videospielern weniger darum zu gewinnen als einen neuen seelischen Ort zu finden, wo alles immer ein bisschen anders, aber auch immer gleich ist. Glücksspieler und Videospieler führen beide ein Leben voller Widersprüche: Man ist überlastet, also flüchtet man sich ins Spiel. Aber dann beschäftigt einen das Spiel so sehr, dass man keinen Freiraum mehr für irgendetwas anderes hat.
Wenn das Online-Leben zu Ihrem Glücksspiel wird, gibt es neue Komplikationen. Sind Sie einsam, so können Sie dort unablässig Kontakt finden. Aber das kann Ihnen auch das Gefühl geben, noch einsamer zu sein, ohne echte Menschen um Sie herum. Aber dann kehren Sie vielleicht ins Internet zurück, um sich eine neue Portion
Illusionen zu holen. Und wieder kommt einem Shakespeare in den Sinn: Wir werden »verzehrt von dem, was uns genährt«.
»Ich versuche zu schreiben«, sagt ein Professor für Volkswirtschaft. »Mein Artikel ist fällig. Aber ich gucke alle zwei Minuten in meine Mailbox. Am schlimmsten ist es, wenn ich die Bildschirmansicht ändere, damit ich nicht mehr hinsehen muss. Genau dann kommt die Mail mit einem ›Pling‹. Ich bin also jetzt wie der Pawlowsche Hund. Ich sitze da und warte auf das ›Pling‹. Ich sollte mich nicht darum kümmern. Aber ich horche natürlich dauernd hin.« Ein Kunstkritiker mit einem Buchabgabetermin griff zu drastischen Mitteln: »Ich fuhr weg, in eine Blockhütte. Und ich ließ mein Handy im Auto. Im Kofferraum. Meine Vorstellung war, dass ich einmal am Tag nachsehen würde. Aber ich ging immer wieder aus dem Haus, machte den Kofferraum auf und kontrollierte das Handy. Ich kam mir vor wie ein Süchtiger, wie die Leute auf der Arbeit, die immer zu den Raucherplätzen im Freien rennen, wo die Aschenbecher stehen. Ich rannte immerfort zu meinem Kofferraum.« Viele Menschen schätzen, dass sie dann, wenn sie eigentlich eine Arbeit zu erledigen haben, doppelt so viel Zeit investieren wie sonst, um zu recherchieren, zu surfen, E-Mails und Fotos zu betrachten und Facebook zu checken, kurz: dem Sirenenruf des Internets zu folgen.
Unsere neurochemische Reaktion auf jedes Pling und jeden Klingelton scheint vom Suchtrieb hervorgerufen zu werden, einer starken Antriebsfeder der menschlichen Psyche. 14 Konnektivität wird zur Sehnsucht; wenn wir eine E-Mail erhalten, reagiert unser Nervensystem mit einem Dopaminstoß. Wir werden von der Konnektivität selbst stimuliert. Wir lernen, danach zu verlangen, selbst wenn es uns erschöpft. Eine neue Generation hat bereits den Verdacht, dass es so ist. Ich denke da an ein sechzehnjähriges Mädchen, das mir sagt: »Die Computertechnologie ist schlecht, weil sie eine Anziehungskraft ausübt, die stärker ist als die Menschen.«
Ihre Bemerkung erinnert mich an Robin, sechsundzwanzig, eine junge Frau in der Werbebranche, die sich beklagt, dass ihr Leben von den Anforderungen der E-Mail-Kommunikation aufgefressen wird. Als ich mich zum ersten Mal mit ihr treffe, hat sie so etwas wie einen »nervösen Hautausschlag« und kündigt an, auf eine Erholungsreise nach West-Kanada zu gehen, um einen »E-Mail-Entzug« zu machen. Als ich drei Monate später wieder mit ihr zu tun habe, war sie immer noch nicht »auf Entzug«. Sie hat einen Arzt gefunden, der ihren Ausschlag als Ekzem diagnostiziert hat. Sie erklärt mir, dass es durch Stress hervorgerufen werden kann, also hat das Mailen hier sicherlich eine Rolle gespielt. Aber es gibt eine Pille, die sie nehmen, und eine Salbe, die sie auftragen kann. Und wenn sie all das tut, dann kann sie online bleiben. Es ist einfacher, das Ekzem zu behandeln, als sich das Mailen abzugewöhnen.
Vielen Leuten drängt sich das Bild einer Sucht auf, um zu beschreiben, was mit ihnen los ist. Ich werde dazu später noch mehr sagen. Fürs Erste will ich es damit bewenden lassen. Adam, dessen einzige Leidenschaft zurzeit das Civilization-Spielen ist, sagt: »Ich habe nie Betäubungsmittel genommen, aber ich stelle mir vor, das Spielen ist eine elektronische Version davon. Ich schätze, Fernsehen ist auch sowas Ähnliches, aber das hier ist eine Art Droge. Und es kann einen befriedigen.«
Zuerst beschreibt Adam Civilization als
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