Verloren unter 100 Freunden
Geschäft des Online-Lebens hat seine eigenen Verkürzungen. Die Emoticons in Textnachrichten setzen eher ein Signal als Gefühle auszudrücken. Wenn wir in unseren Spielwelten mit künstlichen Intelligenzen reden, sprechen wir eine Sprache, die der Computer zerlegen kann. Es wird immer schwieriger zu sagen, welche Nachrichten im Internet von Programmen kommen und welche von Menschen, weil wir uns angewöhnt haben, wie Programme zu klingen. 8 Im Extremfall – und der ist schon in Sicht – sind wir dann vielleicht gar nicht mehr arg erschrocken, wenn die Programme sich uns als Gesprächspartner anbieten. Wie ein Freund es in Science-Fiction-Begriffen ausdrückte, »können wir die Replikanten nicht mehr identifizieren, weil sich die Leute unerklärlicherweise angewöhnt haben, sich wie sie aufzuführen«.
Während ich dieses Buch schrieb, haben mich viele Leute, die Computerspiele mögen, gefragt: »Wo ist das Problem? Was ist verkehrt daran, Scrabble oder Schach online oder gegen einen Computer zu spielen? Was ist falsch an der neuen und äußerst künstlerischen Welt der Computerspiele?« Nichts ist daran falsch. Aber es ist eine Sache, sich zum Vergnügen mit Spielen zu beschäftigen. Dort nach einem alternativen Leben zu suchen, ist etwas ganz anderes. Wie gesagt, mit Robotern sind wir allein und stellen uns nur vor, mit anderen zusammen zu sein. In Netzwerken, die Spielewelten inbegriffen, sind wir mit anderen zusammen, schrauben aber unsere Erwartungen an andere so weit herunter, dass wir uns äußerst allein fühlen können. In beiden Fällen sorgen unsere Geräte für Zerstreuung. Sie geben uns ein Gefühl der Sicherheit in einem Bereich,
der alles andere um uns herum ausschließt. Manche nennen ihn »die Zone«. 9
Der Psychologe Mihaly Csíkszentmihalyi untersucht die Vorstellung von der »Zone« durch das Prisma dessen, was er den »Flow« nennt, jenen Bewusstseinszustand, in dem ein Mensch mit voller Konzentration und Hingabe in eine Tätigkeit vertieft ist. 10 Im Flow-Zustand hat man klare Erwartungen und erreichbare Ziele. Man konzentriert sich auf ein begrenztes Gebiet, so dass Ängste zerstreut werden und man sich vollkommen gegenwärtig fühlt. Wenn Rudy, achtzehn, das Vergnügen beschreibt, das er beim Spielen am Computer hat, passt dies zur Definition des Flow: »Ich mag das Spiel am liebsten, wenn man richtig reingesogen wird. Deshalb spiele ich gern allein, nicht online, weil man da richtig in eine Figur reingezogen werden kann. Da ist diese ganze andere Welt, und man kann so tun, als gehöre man wirklich dazu. Darum ist es was anderes als einen Film anzusehen. Bei einem Film beobachtet man alles, was da passiert, aber wenn man ein Videospiel spielt, ist man mittendrin und kann sogar zu der Figur werden, die man spielt. Es ist ein Gefühl, als wäre man da.«
Im Flow-Zustand ist man fähig, unbefangen zu agieren. Von Reizen überflutet, suchen wir nach begrenzten Welten. Diese Erfahrung kann man an einem Spielautomaten in Las Vegas oder an einem Skihang machen. Und inzwischen auch bei einer Runde Civilization oder World of Warcraft. Oder indem man The Beatles: Rockband spielt. Oder auch in Second Life. Und es stellt sich heraus, dass man sie auch beim Chatten oder Mailen oder bei einem Abend auf Facebook machen kann. All das sind Welten, die durch ihre Begrenzungen bestechen, die einen klaren Raum mit klaren Anforderungen erschaffen. Es ist dieser Energiefluss, der so viele von uns erleben lässt, dass sie sich morgens hinsetzen und schnell ein paar E-Mails erledigen wollen, nur um »klar Schiff« zu machen für den
Arbeitstag, und dann fünf Stunden später wieder zu sich kommen und erschrecken, weil der Tag schon halb vorüber ist, ohne dass sie irgendetwas gearbeitet hätten.
»Ich muss meine E-Mails machen«, sagt Clara, eine siebenunddreißigjährige Steuerberaterin, und blickt in der Mittagspause auf ihren Blackberry. »Das ist sehr nervenaufreibend«, sagt sie, »aber es entspannt auch. Denn wenn ich dabei bin, gibt es nichts anderes.« 11 In ihren Studien über das Daddeln an Spielautomaten in Las Vegas argumentiert die Anthropologin Natasha Schüll, die Amerikaner hätten zu viel Auswahl, aber es seien keine echten Wahlmöglichkeiten. 12 Sie vermitteln nur die Illusion, eine große Auswahl zu haben – gerade eben genug, um einem ein Gefühl der Überbelastung zu vermitteln, aber zu wenig, um ein zielbewusstes Leben zu ermöglichen. Um dem zu entkommen, flüchten sich Spieler in
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