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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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das Gefühl, etwas in einem bestimmten Zeitrahmen fertigzubekommen, und das mit einer Sicherheit, die die Realität nicht bieten kann.
    Das ist der Reiz der Simulation: in der Kreativität zu schwelgen ohne ihre Zwänge, die Faszination des Ausprobierens ohne seine Risiken. Und so spielt Adam weiter und flüchtet sich an einen Ort, an dem er nicht über das Spiel hinauszudenken braucht. Wortreich beschreibt er, wie er sich fühlt, wenn er das Spiel weglegt: »Niedergeschlagen, unter Druck, nervös, Badezimmer, Essen, Fernsehen.« Und dann, ohne das Spiel, überfällt ihn eine Flut von Fragen: »Was
mache ich als Nächstes? Welche Dinge muss ich unbedingt erledigen?  … Wenn ich nicht spiele, werde ich depressiv, weil ich meinen Lebenslauf schreiben muss.«
    Obwohl Adam Angst hat, bald arbeitslos zu sein, hat er keine Songs und kein Drehbuch geschrieben. Sein Lebenslauf ist noch nicht fertig, und er hat seine Steuerunterlagen noch nicht eingereicht. Diese Aufgaben erdrücken ihn. Die Spiele sind beruhigend, ihr Lohn ist garantiert. Das wirkliche Leben erfordert zu viele Schritte und kann immer enttäuschen.
    Adam bekommt von den Spielen, was er sich wünscht, aber ohne sie spürt er sich selbst nicht mehr – oder zumindest etwas an sich, das er bewundert. Außerhalb der Spiele wird er bald arbeitslos sein. Außerhalb der Spiele ist er unfähig, auf ein Ziel hinzuarbeiten, selbst wenn es sich um solch eine Kleinigkeit handelt wie zum Steuerberater zu gehen. Die Frau, die er für seine engste Freundin hält, hat sich ein anderes Spiel gesucht. Adams Gedanken kehren zu den Leuten zurück, mit denen er einst Quake gespielt hat. Ihre Unterhaltungen drehten sich hauptsächlich um Spielstrategien, aber Adam sagt: »Das ist egal. Dieses elektronische Feuer hat was, das Leute auf eine verrückte Art verbindet.« Adam ist deprimiert. Sein wirkliches Leben fällt auseinander. Und so tritt er den Rückzug an, zurück zum Feuer.
    Verführung
    Wir werden von Robotern und Bots verführt und angezogen, Objekte, die auf uns zugehen, als wären sie Menschen. Und so wie wir uns Objekte als Menschen vorstellen, erfinden wir auch Wege, mit Menschen zusammen zu sein, auf denen sich diese in etwas Ähnliches wie Objekte verwandeln.

    Bei einem Programm namens »Chatroulette« sitzt man vor dem Computerbildschirm und bekommt eine Audio- und Videoverbindung mit einer zufällig ausgewählten Person angeboten, die auch gerade eingeloggt ist. Man kann sich in Echtzeit sehen, miteinander reden und sich schreiben. Das Programm, geschrieben von einem russischen Gymnasiasten, kam im November 2009 auf den Markt. Im darauffolgenden Februar hatte es bereits 1,5 Millionen Nutzer. Das ergibt ungefähr fünfunddreißigtausend Leute, die jeweils zur selben Zeit eingeloggt sind. Manche sind gerade in der Küche und möchten beim Kochen ein bisschen Gesellschaft haben, manche masturbieren, manche möchten sich unterhalten. Und manche sind einfach neugierig, wer sonst noch da draußen ist. In nur wenigen Monaten hatte Chatroulette dem internationalen Lexikon ein neues Wort hinzugefügt: »nexten«. Das ist der Vorgang, durch Drücken der »Next«-Taste von einem Online-Kontakt zum nächsten zu springen. Im Durchschnitt drückt ein Chatroulette-User die »Next«-Taste alle paar Sekunden.
    Meine erste eigene Sitzung auf Chatroulette fand im März 2010 während einer Unterrichtsstunde statt, die ich am MIT gab. Ein Student schlug das Spiel als mögliches Thema einer schriftlichen Arbeit vor, und in unserem verdrahteten Unterrichtsraum brauchte ich nur ein paar Sekunden, bis ich meine erste Verbindung hatte. Es war ein Penis. Ich drückte Next, und wir trennten uns. Nun füllte sich mein Bildschirm mit kichernden jungen Mädchen. Sie nexteten mich. Meine dritte Verbindung war wieder ein Penis, diesmal masturbierte jemand. Next. Die fünfte war eine Gruppe Spanier in einem schummrigen Raum. Sie schienen gerade bei Kerzenlicht zu speisen und winkten lächelnd. Vertrauensvoll sagte ich: »Hallo!« und erschrak über ihre freundliche Reaktion: »Na, Alte!« Meine Klasse war so fürsorglich, mich moralisch zu unterstützen, und sprang ein. Ich fühlte mich natürlich versucht, die Spanier in eine
lebhafte Unterhaltung zu verwickeln – wirklich omahaft! Aber ich musste wieder zu meinem Unterricht zurückkehren, also ließen wir die Spanier verschwinden.
    Chatroulette treibt die Dinge auf die Spitze: Gesichter und Körper werden zu Objekten. Aber das profane

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