Verloren unter 100 Freunden
West-Massachusetts, ist bereit, mir zu sagen, was sie im Internet veröffentlicht hat: Da gab es »unpassende« schwärmerische Begegnungen mit Arbeitskollegen, und sie ist zwei Mal in Urlaub gefahren mit einem Teil des Geldes, das sie für den Ruhestand ihrer Eltern zurückgelegt hatte. Sie sagt, hinsichtlich beider Situationen – der mit dem Geld und der mit den Männern – seien die Online-Bekenntnisse ein Trost gewesen: »Das Wichtigste ist, dass man, nachdem man seine eigenen Beichten eingestellt hat, auch die der anderen liest. Man weiß dann, man ist nicht allein. Eine Menge anderer Leute haben fast dieselben Sachen erlebt.«
Sheryls Online-Beichten führen nicht dazu, dass sie mit denjenigen redet, denen sie unrecht getan hat, oder versucht, etwas wiedergutzumachen. Sie geht online, um sich wohler zu fühlen, nicht, um etwas in Ordnung zu bringen. Sie glaubt, dass die meisten Menschen die Bekenntnisseiten zu diesem Zweck nutzen. »Viele Einträge beginnen mit ›Ich könnte es niemals meinem Mann erzählen, aber …‹, ›Ich könnte es nie meiner Mutter sagen, aber …‹« Ich frage sie, ob die Online-Beichten es einem leichter machen, sich nicht zu entschuldigen. Ihre Antwort kommt prompt: »Ja, das glaube ich schon. So mache ich meinen Frieden mit mir … und gehe weiter.« Ich bin bestürzt, denn ich hatte keine so offene Antwort erwartet. Aber Sheryl hat sich darüber bereits Gedanken gemacht. Sie nimmt Bezug auf die Zwölf Schritte, ein Programm zur Bekämpfung von Abhängigkeiten. Sie erklärt Schritt acht und neun: »Schritt acht fordert einen auf, eine ›Liste aller Menschen aufzustellen, die man verletzt hat, und bereit zu sein, es bei allen wiedergutzumachen‹. Schritt neun besteht darin, ›diesen Leuten direkte Entschädigung
zuteilwerden zu lassen‹.« Dann weist Sheryl darauf hin, dass Schritt neun einen davon befreit, so zu handeln, wenn Wiedergutmachungen »die Betreffenden oder andere kränken würden«. Sheryl hält es mit der Befreiung. Sie ist bereit zu beichten, aber nicht, sich zu entschuldigen.
Die Unterscheidung zwischen Bekenntnis und Entschuldigung ist regelmäßig Thema in Unterhaltungen über Online-Kommunikation und soziale Netzwerke im Internet. Auf Facebook zum Beispiel wird sich viel entschuldigt, aber man sagt mir häufig, diese Entschuldigungen zählten nicht. Sie seien eher wie Bekenntnisse, denn eine echte Entschuldigung muss sich direkter an den Menschen richten, dem man unrecht getan hat. Maria, die dreiunddreißig Jahre alte Finanzanalystin, die gesagt hat, die Intensität bei Second Life könne sehr anstrengend sein, mag es nicht, wenn Leute per E-Mail »Dinge in Ordnung bringen« wollen. Sie findet, entschuldigen muss man sich persönlich. »Aber«, fährt sie fort, »die Leute machen es nicht mehr. … Sie denken, wenn sie ihren Fehler per Computer zugegeben haben, hätten sie ihren Teil erledigt und jetzt wären andere an der Reihe zu reagieren. Aber ich finde, wenn man mich gekränkt hat, warum sollte es dann meine Sache sein, zu kommen und zu sagen, dass nun alles wieder in Ordnung ist?« Denken Sie nur an den ironischen Bericht der sechzehnjährigen Audrey über eine Online-Entschuldigung: »Das ist billig. Das ist einfach. Man braucht bloß zu tippen ›Tut mir leid‹.« Das beschreibt ziemlich gut, wie der achtzehnjährige Larry mit solchen Dingen verfährt: »Ich entschuldige mich nicht mehr bei anderen. Ich stelle einfach meine Entschuldigung ein, als Feststellung [in Facebook]. Die Betroffenen wissen, wen ich meine.« Sydney, dreiundzwanzig, ein Jurastudent im ersten Semester, protestiert: »Als reine Feststellung zu sagen, dass es einem leidtut … das ist keine Entschuldigung. Das ist wie zu Facebook zu sagen ›Tut mir leid‹«.
Die Bestandteile einer Entschuldigung sollen das psychologische Fundament für eine Heilung legen – und das bedeutet Heilung für beide Beteiligten, für den Verursacher und denjenigen, der eine Kränkung erfahren hat. Zuerst muss man sich selbst darüber im Klaren sein, dass man jemanden gekränkt hat, dann muss man es der betroffenen Person gegenüber eingestehen, und dann muss man fragen, was man tun kann, um es wieder in Ordnung zu bringen.
Die Computertechnologie macht es uns leicht, die Grenze zwischen Eingeständnis und Entschuldigung zu verwischen und den Überblick zu verlieren, nicht nur, weil Internetforen sich als »billige« Alternativen dazu anbieten, sich mit anderen Menschen
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