Verloren unter 100 Freunden
nur einen »effizienteren« Weg gewählt, um ihre Geschichte allen ihren Freunden übermitteln zu können. Robin erhält gelegentlich noch eine E-Mail von ihr. Aber unter dem Strich hat sich das, was einst ein persönlicher Brief war, in einen Blog verwandelt.
Robin sagt, sie schäme sich für ihre Reaktion auf Joannes Facebook-Veröffentlichungen. »Ich war eifersüchtig auf die anderen Leser. Sie sind keine Freunde in der Art, wie ich Joannes Freundin bin.« Robin versteht Joannes Entscheidung, ihre Geschichte zu »veröffentlichen«. »Auf diese Weise erreicht sie mehr Leute … Einige davon können ihr beruflich weiterhelfen.« Aber dennoch fühlt Robin sich im Stich gelassen. Weil Joannes Geschichte an alle Freunde gerichtet ist, erzeugt sie keine Nähe mehr zu ihrer Freundin.
Nachdem sie diese Geschichte, die im Wesentlichen von einem persönlichen Verlust handelt, erzählt hat, fügt Robin noch etwas an, was sie als »nicht persönlich« bezeichnet: »Ich möchte noch etwas Allgemeines zu der Sache loswerden.« Sie sagt, die an sie gerichteten E-Mails von Joanne seien »von einer realen Person für eine andere reale Person« verfasst worden, nämlich für sie, Robin, persönlich. Hinter jedem dieser Texte stand die Geschichte ihrer langjährigen Freundschaft. Die neuen »Posts« auf Facebook seien ganz allgemein gehalten. »Sie sind an alle Leute gerichtet«, sagt Robin,
»und damit an niemand Bestimmten. Sie sind nicht mehr so gut wie früher.« Robin vermisst es, etwas zu erhalten, das nur für sie gedacht ist.
Spontaneität
In einer Diskussion über das Online-Leben von Schülern der Fillmore School sagt Brendan, im Grunde sei er ganz schön einsam. Er erzählt scherzhaft: »Mein Leben dreht sich darum, Kurznachrichten zu schicken und auf Antworten zu warten. Manchmal dauert es eine Viertelstunde, manchmal etwas länger. Sobald ich die Antwort erhalte, versuche ich meinerseits zu antworten.« Jetzt wird er ernster. Das ewige Hin und Her deprimiere ihn. Er empfindet »keine Nähe« zu den Leuten und glaubt, dadurch von Dingen abgehalten zu werden, die diese Nähe erzeugen könnten. Brendan möchte seinen Freunden persönlich begegnen oder wenigstens mit ihnen telefonieren. Er möchte nicht immer das Gefühl haben müssen, sie seien auf dem Sprung. Auch hier richtet sich die Wehmut auf Aufmerksamkeit, Zuwendung und auf die »Kunst«, immer nur eine Sache zu tun statt mehrere Dinge gleichzeitig. Truman, einer von Brendans Mitschülern, findet, sein Freund verlange zu viel. »Manchmal ruft Brendan an, um ein bisschen zu quatschen. Das ist schon okay. Aber ich selbst kann mir so was kaum vorstellen, ich meine, jemanden anzurufen, nur um ein bisschen zu reden. Es kommt mir komisch vor.« Truman möchte nachsichtig mit seinem Freund sein, aber er scherzt, dass Brendan »nicht darauf wetten sollte, mit mir demnächst längere Telefonate zu führen«. Trumans Äußerungen erfordern genaues Hinhören. Er sagt, ein bisschen am Telefon zu quatschen sei schon okay, aber offenbar stört es ihn auch. Für Truman setzt »ein Anruf, den man nicht bloß macht, um eine Verabredung
zu treffen, etwas zu planen oder einen Standort durchzugeben« voraus, dass der Angerufene Zeit für einen hat. Und dessen ist Truman sich nie sicher. Deshalb fürchtet er, diese Art von Anruf könnte als aufdringlich empfunden werden. Und so lässt er es lieber bleiben. Er möchte sich keine Abfuhr einhandeln.
Wenn junge Menschen unsicher sind, entwickeln sie eine Art »Liebestest«, eine persönliche Messskala, um möglichst nichts falsch zu machen. Sie beurteilen das Maß an Zuneigung an der gewählten Kommunikationsart. Eine Instant Message stellt einen in ein Fenster zu vielen anderen Leuten. Ein längeres Telefonat oder ein Brief – diese seltenen und schwierigen Dinge – demonstrieren volle Aufmerksamkeit. Brad, der Hadley-Schüler, der eine Facebook-Pause macht, sagt: »Einen Brief zu erhalten ist so besonders, weil er nur für einen selbst bestimmt ist … Es ist ziemlich schmeichelhaft, gerade heutzutage, wo die Leute immer hundert Sachen gleichzeitig machen, dass jemand sich die Mühe macht, einem für einen bestimmten Zeitraum seine volle, ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Wirklich, das ist schon etwas ganz Besonderes.«
Herb, der zum Abschlussjahrgang an der Fillmore School gehört, empfindet ähnlich; er und seine Freundin haben beschlossen, mit Briefen zu kommunizieren. »Bei einem Brief weiß man, dass der andere
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