Verloren unter 100 Freunden
schauen Videofilmchen und machen ihre Hausaufgaben. Ein Highschool-Schüler beschreibt seine abendlichen »Sitzungen« am Computer: »Manchmal chatte ich mit drei Leuten gleichzeitig, höre Musik und sehe mir eine Webseite an.« Tagsüber ist die Hauptsendezeit für SMS, und dieser Nachrichtenaustausch findet statt, während die Teenager unterwegs von einer Aktivität zur anderen sind. Sie erzählen davon, was bei dieser Kommunikationsart verloren geht: Sie sehen nicht, wie der andere dasteht, hören nicht seinen Tonfall, sehen nicht den Gesichtsausdruck, »die Dinge, die einem Augen und Ohren vermitteln«, wie eine Achtzehnjährige sagt.
Als ich zum ersten Mal von SMS hörte, hielt ich es für zu telegrafisch, um mehr zu sein als eine Möglichkeit, sich kurz zu melden. Man verschickte eine Kurznachricht, um eine Verabredung zu bestätigen, um sich auf ein Restaurant zu einigen oder um mitzuteilen, dass man sicher zu Hause angekommen war. Ich habe mich geirrt. Kurznachrichten auf dem Handy haben sich zu einem Raum für Beichten, Trennungen und Liebeserklärungen entwickelt. Hier gibt es etwas Neues zu feiern: einen noch nie dagewesenen, fruchtbaren Raum für Freundschaft, eine Möglichkeit, jemandem eine virtuelle Kusshand zuzuwerfen. Aber dies hat seinen Preis. Alle Angelegenheiten – einige heikel, andere nicht – werden in ein Medium hineingestopft, das blitzschnell einen Zustand kommuniziert, sich jedoch nicht dafür eignet, einen Dialog über die Komplexität von Gefühlen zu eröffnen. Durch Kurznachrichten auf dem Handy – oft unterbrochen durch schlechten Empfang, andere Anrufe und andere SMS (ganz zu schweigen davon, dass all dies in Gegenwart anderer Leute geschieht) – geht schnell die versprochene Intimität verloren. Es gibt einen Unterschied, sagt ein Achtzehnjähriger, »zwischen jemandem,
der lacht und jemandem, der schreibt , dass er lacht«. Er sagt: »Meine Freunde schenken ihren Handys wahnsinnig viel Aufmerksamkeit … sie vergessen, dass sie von Menschen umgeben sind, die auch ihre Aufmerksamkeit verdienen.«
Wir treffen Robin, sechsundzwanzig, die in einer Werbeagentur als Texterin arbeitet. Die Anforderungen des Jobs beschreibt sie als »aufreibend«. Ihr Blackberry hat sie immer dabei. Sie legt es nicht in die Handtasche; sie hält es in der Hand. Beim Essen legt sie es vor sich auf den Tisch und fummelt ständig daran herum. Sie erklärt, dass es immer eingeschaltet sei, weil sie wegen ihres Jobs immer erreichbar sein müsse. Aber sie gibt zu, dass noch mehr dahinterstecke. Natürlich müsse sie für die Agentur immer erreichbar sein. Aber inzwischen bekomme sie ohne ihr Blackberry einfach Angst, Erreichbarkeit hin oder her. »Ohne das Ding wird mir fast schwindlig. Als stimme etwas nicht mit mir, als wäre etwas Schlimmes passiert.« Das Blackberry ist für Robin zu einem Weg geworden, mit den Ängsten fertigzuwerden, die sie wegen ihrer Eltern, ihrer Arbeit und ihren Liebesangelegenheiten hegt. »Egal was da schiefläuft«, sagt sie, »solange ich mein Smartphone unter Kontrolle habe, habe ich das Gefühl, dass zumindest nicht alles außer Kontrolle geraten ist.« Aber etwas ist sehr wohl außer Kontrolle geraten.
Robin erzählt, ihre Blackberry-Manie habe mit geschäftlichen E-Mails begonnen, aber inzwischen verbringe sie mit dem Gerät mehrere Stunden am Tag auf Facebook. Und es sei gewiss nichts Geschäftliches, was sie da tue. Aber Robin ist sich nicht sicher, ob ihr das Ganze noch gefällt. Sie erzählt, sich auf Facebook zunehmend »veräppelt« zu fühlen. Ich bitte sie um ein Beispiel, und Robin beginnt von ihrer Freundin Joanne zu erzählen.
Robin und Joanne gingen in Los Angeles zusammen aufs College. Nach dem Abschluss nahm Robin in Chicago eine Stelle im Verlagswesen an. Joanne blieb an der Westküste und studierte Anthropologie.
Vor fünf Jahren führten die Recherchen für ihre Doktorarbeit sie in ein Dorf in Thailand. Während ihres Jahres in dem Dorf hatte sie einen Internet-Zugang und schrieb Robin regelmäßig lange, detaillierte E-Mails – eine persönliche Schilderung ihres Lebens in Thailand. Robin schwärmt in den höchsten Tönen von den Texten, findet sie »elegant, detailliert und poetisch« und druckte sie aus; noch heute liest sie hin und wieder darin. Joanne ist mittlerweile für ein neues Projekt erneut in Thailand, aber diesmal stellt sie alle zwei Wochen einen Bericht auf ihre Facebook-Seite. Die beiden Frauen sind nicht zerstritten; Joanne hat
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