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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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in die Welt der Konnektivität.
    Von Kindesbeinen an assoziierten diese jungen Menschen Technologie mit geteilter Aufmerksamkeit. Handys waren, bevor sie auch im Leben der Kinder essentiell wurden, Konkurrenten im Wettstreit um die elterliche Aufmerksameit, und oft genug verloren die Kinder diesen Kampf. Und im Jugendalter liegen die Dinge nicht
anders. Nick, siebzehn, sagt: »Meine Eltern schreiben beim Essen SMS. Ich habe mich daran gewöhnt. Mein Vater sagt, es sei besser, als wenn er deshalb ins Büro fahren müsste. Ich frage: ›Na, wie wär’s denn mit kürzeren Mahlzeiten?‹ Aber meine Mutter mag ausgedehnte Menüs. Um ein Essen mit vielen Gängen durchzusetzen, muss sie das Blackberry zulassen.«
    Schon immer haben Kinder um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern gewetteifert, aber die gegenwärtige Generation erlebt etwas Neues. Früher hatten Kinder es mit Eltern zu tun, die bei der Arbeit waren oder sich mit Freunden oder miteinander beschäftigten. Heute haben Kinder Eltern, die körperlich anwesend, aber mit den Gedanken ganz woanders sind. Hannahs Schilderung, wie ihre Mutter bei der Begrüßung nicht einmal von ihrem Blackberry aufschaut, wenn sie sie von der Schule abholt, verdeutlicht den schmerzhaften Kontrast zwischen der Frau, die sich die Mühe macht, ihre Tochter abzuholen, und der Frau, die nicht vom Display aufblicken kann. Lon sagt, er habe es besser gefunden, als sein Vater noch einen stationären Computer besaß. Es bedeutete, dass er seine Arbeit an einem spezifischen Standort erledigte. Nun sitzt sein Vater neben ihm auf der Couch und schaut sich ein Footballspiel an, ist aber gleichzeitig mit seinem Smartphone beschäftigt. Weil sie körperlich so nahe beieinander sind, wirkt das Verhalten seines Vaters auf Lon besonders abgrenzend.
    Miguel, ein Zwölftklässler an der Hadley-Schule, findet es »stressig«, wenn sein Vater während einer Sportübertragung im Fernsehen mit seinem Blackberry herumhantiere, fügt jedoch an, es sei »nicht so stressig, dass es mich umbringen würde, sondern eher dauerhaft nervend«. Miguel sagt, es falle ihm schwer, seinen Vater zu bitten, das Blackberry wegzulegen, denn er selbst schreibe ja auch SMS, wenn er bei seinem Vater im Auto sitze. »Wenn sein Sohn das macht, dann darf er es natürlich auch.« Aber wenn Eltern ihre
Kinder ständig mit ihren Handys herumhantieren sehen und daraus die Erlaubnis ableiten, dies ebenfalls tun zu dürfen, lassen die Erwachsenen eine entscheidende Asymmetrie außer Acht. Teenager, die dies tun, sind eben nur Teenager. Sie wünschen und brauchen die Aufmerksamkeit von Erwachsenen. Die meisten geben gerne zu, dass sie oft erleichtert sind, wenn die Eltern sie bitten, das Handy wegzulegen und miteinander zu reden. Aber damit Eltern diese – nicht mehr selbstverständliche – Bitte äußern können, müssen auch sie ihre Mobiltelefone beiseitelegen. Manchmal sind es die Kinder (oft in Allianz mit den Müttern), die darauf bestehen, sich beim gemeinsamen Abendessen zu unterhalten und das Smartphone doch bitte außer Acht zu lassen. Aber wie wir wissen, wird man eine schlechte Angewohnheit nur schwer wieder los.
    Ein Zwölftklässler erinnert sich an die Zeit, als sein Vater neben ihm auf dem Sofa zu sitzen und ein Buch zu lesen pflegte. »Er hat aus Vergnügen gelesen und sich nicht daran gestört, wenn ich ihn unterbrach.« Aber als sein Vater, ein Arzt, von Büchern zum Blackberry wechselte, wurde die Lage weniger eindeutig. »Er könnte ein Spiel spielen oder die Krankenakte eines Patienten lesen, man weiß nie genau, was er gerade mit seinem Blackberry macht.« Es sei anstrengend, den Vater aus dieser Zone herauszuholen. Wenn es so weit ist, braucht er Zeit, um sich auf seinen Sohn einzustellen. »Man stellt ihm eine Frage, und er sagt: ›Ja, einen Moment.‹ Und dann schreibt er schnell die E-Mail oder was auch immer zu Ende und loggt sich wo auch immer aus und sagt: ›So, tut mir leid, was hast du gerade gesagt?‹«
    Es ist gang und gäbe, Kinder zwischen acht und achtzehn von der Frustration reden zu hören, die sie befällt, wenn sie die Aufmerksamkeit ihrer schwer beschäftigten Eltern zu erlangen versuchen. Jetzt sind dieselben Kinder auch noch unsicher, ob, und wenn ja, wie viel Aufmerksamkeit sie von ihren Altersgenossen erhalten.
Kein Wunder: Während sie abends vor ihren Computern hocken und Nachricht verschicken oder erhalten, erledigen sie Einkäufe, laden Fotos hoch, aktualisieren ihre Facebook-Seite,

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