Verloren unter 100 Freunden
anvertrauen würden. Jonathan misstraut Menschen; er lässt sich leicht demütigen. Edna ist eine Perfektionistin, die weiß, dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr genügt. In beiden Fällen führt der Roboter zur Entspannung und weckt Erinnerungen. 13 Und deshalb gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, wie man diese Fallstudien verstehen kann: Man kann es positiv sehen, wenn man beobachtet, wie Senioren sich mit Robotern unterhalten und ihnen ihre Geschichten erzählen. Oder man sieht, wie Menschen mit Chimären reden, sieht sie ihre Zuwendung an einen Gegenstand verschwenden, und man findet, dass irgendetwas fehlt.
Und natürlich gibt es noch eine dritte Möglichkeit, wie Roboter Teil unserer Kultur werden können. Sie besteht einfach in der Überzeugung, dass Roboter das Beste sind, was uns passieren kann. Als meine Forschungsgruppe über soziale Roboter Ende der Neunzigerjahre
ihre Arbeit aufnahm, hatten wir eine streng humanistische Grundeinstellung. Wir gestanden dem Menschen eine privilegierte Rolle bei menschlichen Beziehungen zu, selbst während wir sahen, wie Roboter ihre Ansprüche als Gefährten anmeldeten. Wir waren neugierig, aber skeptisch, was Roboter zu bieten haben würden. Doch in den Jahren der Arbeit mit Senioren gab es immer wieder Momente, wo wir so erschüttert über die Zustände in Altenheimen waren, dass wir uns am liebsten selbst durch Roboter hätten ersetzen lassen. In diesen dürftig ausgestatteten Einrichtungen ist ein AIBO, ein Paro oder ein My Real Baby eine Sensation, etwas noch nie Dagewesenes. Die Roboter werden herumgereicht, die Leute reden miteinander. Jeder fühlt sich frei, eine Meinung zu haben. Momente wie diese lassen den Roboter gut aussehen. Manchmal hat die Verzweiflung der Senioren, niemanden zum Reden zu haben, mich so traurig gestimmt, dass ich irgendwann zufrieden war, dass sie wenigstens etwas zum Reden hatten.
Als Adele, achtundsiebzig, von ihrer ersten Begegnung mit Paro erzählt, wandern ihre Gedanken zu ihrer Großtante Margery zurück, die bei ihrer Familie wohnte, als Adele ein kleines Mädchen war. Margery hat meistens in ihrem Zimmer gesessen und gelesen oder gehäkelt. Zu den Mahlzeiten gesellte sie sich zur Familie und saß still da. Adele erinnert sich an Margery als Neunzigjährige, die »die Kinder aus ihrem Zimmer scheuchte, um mit ihren Erinnerungen allein zu sein«. Die kleine Adele beobachtete Margery oft durch einen Riss im Türholz. Ihre Großtante sprach zu einem Foto, das sie selbst mit ihrer Mutter und ihren Schwestern zeigte. Adele betrachtet Paro als Äquivalent für das Familienporträt von damals. »Er regt dazu an, mit ihm zu sprechen …« Ihre Stimme verklingt und sie zögert: »Vielleicht ist es besser, mit einem Foto zu sprechen.« Ich frage sie, warum. Adele lässt sich Zeit, um sich zu sammeln. Schließlich gesteht sie, dass es manchmal schwierig sei, »zwischen Erinnerungen
und dem, was jetzt ist, zu unterscheiden. Wenn ich mit einem Foto spreche, weiß ich, dass ich in einer Erinnerung schwelge. Bei einem Roboter bin ich mir da nicht so sicher.«
Adeles Bemerkung verändert ein wenig mein Denken über das Zusammensein mit einem Roboter. Auf eine bestimmte Weise löst die Interaktivität des Roboters Erinnerungen aus. Aber mit seiner nächsten Aktion »entführt« der Roboter, weil er menschliche Tagträumerei nicht versteht, die Erinnerung in die Gegenwart. Man ist gefangen zwischen der Erinnerung an eine »Deckidecke« aus der Kindheit der eigenen Tochter und der gegenwärtigen Aufgabe, ein imaginäres Mittagessen zu kochen, weil das Roboterbaby vor Hunger weint. Es kann dazu kommen, dass der imaginäre Hunger realer erscheint als die »Deckidecke«. Oder dass die »Deckidecke« keine Erinnerung mehr ist.
»Ein Roboter, der sogar Sherry gefällt«
Zum ersten Mal von Nursebot gehört habe ich im Herbst 2004 bei einer Robotik-Konferenz, wo ich eine Rede darüber hielt, was die soziale Robotik heraufbeschwören könnte – die Akzeptanz von »Beziehungen«, in denen wir uns verbunden zu fühlen glauben, obwohl wir allein sind. Die meisten meiner Kollegen entgegnen auf meine Ansichten, dass »das Auftreten« die Währung aller sozialen Beziehungen sei und dass dies nichts Schlechtes sei, sondern einfach ein gegebener Zustand. 14 Menschen spielen anderen Menschen immer etwas vor. Nun tun dies eben auch Roboter. Die Welt werde reicher sein mit einer neuen Besetzung von Darstellern, die in einer Vielzahl möglicher neuer
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