Verloren unter 100 Freunden
ist nicht ungewöhnlich; Amy besucht
ihre Urgroßmutter alle zwei Wochen. Amy genießt diese Besuche; ihr gefällt die Aufmerksamkeit und sie mag es, verwöhnt zu werden. Heute wird etwas Neues geschehen: Mein Forschungsteam bringt Edna ein My Real Baby.
Als das Team am Vormittag eintrifft, ist Edna voll auf das kleine Mädchen fokussiert. Sie knuddelt mit Amy, spricht mit ihr und gibt ihr Leckereien. Sie hat Amys Geburtstag versäumt und überreicht ihr nachträglich ein Geschenk. Etwa nach einer halben Stunde geben wir Edna das My Real Baby, und ihre Aufmerksamkeit verlagert sich. Sie experimentiert mit dem Roboterbaby und strahlt, als sie es lächeln sieht. Danach spricht Edna den Roboter direkt an: »Hallo, wie geht es dir? Bist du ein liebes Mädchen?« Edna nimmt das My Real Baby auf den Arm. Als es zu weinen anfängt, holt Edna das Fläschchen des Roboters und verkündet lächelnd, sie werde die Kleine nun füttern. Amy versucht die Aufmerksamkeit ihrer Urgroßmutter zu wecken, wird aber nicht beachtet. Das My Real Baby eng an ihre Brust gedrückt, erzählt Edna ihm, es müsse sich nach dem Trinken schlafen legen und erklärt, sie werde es nach oben ins Schlafzimmer bringen, wo »ich dich in dein Bettchen lege und mit deiner hübschen Deckidecke zudecke«. An dieser Stelle dreht sie sich zum Forschungsteam um und erklärt, eines ihrer Kinder habe immer »Deckidecke« statt Bettdecke gesagt, aber sie erinnert sich nicht, welches der Kinder es war. Sie fährt fort, mit dem My Real Baby zu reden: »Ach, du kleine Süße … du bist meine kleine Honigschnitte! Ja, das bist du.«
Edna verbringt die nächste Stunde fast ausschließlich mit dem My Real Baby. Sie sorgt sich, dass sie seine Sprache nicht verstehe und fürchtet, dem Roboter »wehzutun«; sie sagt, sie möchte alles »richtig« machen. Von Zeit zu Zeit tritt Amy an Edna heran, bringt ihr entweder etwas – einen Keks, ein Kleenex – oder bittet sie direkt um ihre Aufmerksamkeit. Manchmal sind Amys Bitten nett, manchmal
klingt sie verärgert. Aber erhört wird das Mädchen nicht. Ednas Aufmerksamkeit gilt ausschließlich dem Roboterbaby. Es ist ganz still im Zimmer, die Atmosphäre ist fast surreal: eine von einem Roboterbaby bezauberte Urgroßmutter, eine zurückgewiesene Zweijährige, eine geschockte Mutter und nervös hüstelnde Forscher.
In Gegenwart von älteren Menschen, die sich selig in den Welten ihrer Paros und My Real Babys verlieren, ist man mitunter versucht zu sagen: »Na, und? Was soll daran schlecht sein? Den Alten gefällt’s. Das ist doch die Hauptsache.« Ednas Geschichte liefert eine Antwort auf die Frage. Sobald sie das My Real Baby im Arm hält, macht Edna den Eindruck, sie würde nun gern allein sein, würde am liebsten nur mit dem Roboter »zusammen« sein.
Als wir Edna nach ihrem Erlebnis fragen, ist der Bann schließlich gebrochen. Auf die Frage »Würde es Ihnen gefallen, ein My Real Baby im Haus zu haben?«, antwortet sie entrüstet: »Nein. Warum sollte ich!?« Sie protestiert, dass »Puppen etwas für Kinder sind«. Sie könne sich nicht vorstellen, warum es älteren Menschen gefallen sollte, so eine Puppe zu besitzen. Wir bemerken ihr Unbehagen. Fühlt sie sich ertappt?
Als wir ihr erzählen, dass einige Erwachsene an der Gegenwart des Roboterbabys großen Gefallen fänden, entgegnet Edna, dass es viele andere Dinge gebe, die sie lieber tun würde, als mit einer Puppe zu spielen. Sie klingt abwehrend und zupft irritiert an Hals und Kragen. Nun versucht Edna die Wogen zu glätten, indem sie über das My Real Baby spricht, als wäre es nur eine gewöhnliche Puppe. Sie fragt nach dem Hersteller und dem Preis und ob es Batterien benötige. Und sie fragt, was andere Leute in unserer Studie darüber gesagt haben. Wie haben sie sich verhalten? Edna möchte sich vergewissern, dass andere Leute genauso reagieren wie sie. Sie sagt: »Es ist eine tolle Sache … eine fantastische Idee, in die bestimmt viel Arbeit gesteckt wurde«, fügt jedoch an, sie könne sich nicht
vorstellen, etwas für den Roboter zu empfinden, selbst wenn sie mehr Zeit mit ihm verbrächte.
Allmählich lässt Ednas Abwehrhaltung nach. Sie erklärt, mit dem My Real Baby zusammen zu sein und es sprechen zu hören, es zu streicheln und reagieren zu sehen, war »eines der eigenartigsten Gefühle, die ich je hatte«. Wir fragen Edna, ob es sich anders angefühlt habe, mit dem Roboter zu reden als mit einem echten Kleinkind. Widerwillig antwortet Edna,
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