Verloren unter 100 Freunden
habe. »Wenn Sie mit jemandem über Ihren Roboter sprechen, wie nennen sie ihn dann?« Gordon antwortet nicht, und Kidd wird direkter. »Hat der Roboter in Ihrer Obhut einen Namen erhalten?« Kidd bemerkt das erste Lächeln auf Gordons Gesicht, als dieser antwortet: »Ihr Name war Ingrid.« Nach diesem Geständnis ändert sich der Tonfall des Mannes. Gordon hat nun nichts mehr zu verbergen. Anderen Leuten hat er nicht zugetraut, seine Beziehung zu Ingrid zu verstehen, aber dem Erfinder des Roboters öffnet er sich. Dabei bessert seine Laune sich zusehends. Er spricht von dem Roboter ohne zu zögern als »Ingrid«, sagt »sie« und »ihr«. Er führt Kidd zu Ingrids neuem Standort. Der Roboter steht nun in Gordons Schlafzimmer im Erdgeschoss, damit beide sich ungestört unterhalten können.
Kidd erhält viele messbare Daten über den Studienverlauf: verlorene Pfunde während der Anwesenheit des Roboters; Zeiten, wann der Roboter benutzt wird; Zeiträume, in denen er ignoriert wird. Aber er fügt seiner Dissertation ein Kapitel hinzu, das er einfach »Geschichten« nennt, so wie die über Rose und Gordon. Kidd lehnt es ab, weitreichende Schlüsse aus diesen Geschichten zu ziehen oder darauf basierende Hypothesen aufzustellen, aber ich finde, dass dies durchaus möglich wäre. Ein sozialer Roboter wird zu einer Person gebracht, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen – etwa zur Lösung von Kreuzworträtseln oder eben zur Hilfe beim Abnehmen –, und sobald er dort ist, entwickeln die Leute eine Bindung zu ihm. Es geschehen Dinge, die nicht messbar sind. Anfangs geht es nur um die Gewichtsreduktion. Aber dann erreichen der Roboter und der Benutzer schnell einen Punkt, wo der Roboter als heilsam für die Seele betrachtet wird.
Die Geschichten von Andy, Jonathan, Rose und Gordon veranschaulichen die unterschiedlichen Bindungsstile an einen sozialen Roboter und zeigen verschiedene Phasen der Beziehung zu ihm auf. Die Benutzer vergewissern sich einer sicheren Umgebung; der Roboter lässt sie nicht kindisch erscheinen. Sie lassen sich von seiner gleichbleibenden Gegenwart und seiner reaktiven Art einnehmen. Der Roboter scheint auf die Leute einzugehen, und sie lernen, dies anzunehmen. Es ist eine weit verbreitete Eigenart von Menschen, mit ihren Autos, Stereoanlagen, Haushaltsgeräten und dem Küchenherd zu sprechen. Ich habe diese Art von Gesprächen über mehr als drei Jahrzehnte untersucht und herausgefunden, dass sie sich auf bedeutsame Weise von Gesprächen mit sozialen Robotern unterscheiden. Wenn Menschen mit ihren Öfen und Küchengeräten reden, projizieren sie ihre Gefühle durch Schimpfen und flehentliches Bitten. Wenn sie mit sozialen Robotern reden, gehen Erwachsene und Kinder gleichermaßen über die Projektionspsychologie
hinaus hin zur Psychologie der Verbundenheit: von Rorschach zur Beziehung. Die spezifische Eigenart des Roboters ist das simulierte Zuhören, das eine menschliche Schwäche bedient: Menschen möchten, dass man ihnen zuhört. Von hier scheint nur ein kleiner Schritt nötig zu sein, um den Punkt zu erreichen, an dem Menschen ihre Roboter in ihre private Sphäre hineinnehmen, um sich ihnen anzuvertrauen. In ihrer Einsamkeit erleben die Menschen dann eine neue »Nähe«, eine Nähe zur Maschine. Die Kluft zwischen diesem Erleben und der Realität vergrößert sich. Der Mensch fühlt sich verstanden, aber der Roboter kann nicht verstehen.
Wenn ich über meine Arbeit mit sozialen Robotern und Senioren spreche, höre ich manchmal Bemerkungen wie »Oh, Sie sprechen wohl von Leuten, die extrem einsam und nicht mehr ganz da sind«. Aus solchen Kommentaren höre ich den Wunsch heraus, die Menschen, die ich studiere, in »die anderen« zu verwandeln, um anzudeuten, dass meine Erkenntnisse nicht für die Allgemeinheit gelten, nicht für alle Menschen. Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass meine Beobachtungen dieser sehr einfachen sozialen Roboter und der Senioren menschliche Schwächen offenbaren, die uns allen gemein sind. Andy und Jonathan sind einsam, ja, aber sie sind kompetent. Gordon grummelt gerne, was aber nicht weiter schlimm ist. Rose hat ein sonniges Gemüt. Sie hat einen menschlichen Gefährten; sie liebt einfach auch ihren Roboter.
»Eine tolle Sache«
Edna, zweiundachtzig, lebt allein in dem Haus, in dem sie ihre Kinder großgezogen hat. An diesem Tag kommt ihre Enkelin Gail, die schöne Kindheitserinnerungen an Edna hat, mit ihrer zweijährigen Tochter Amy zu Besuch. Das
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