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Verloren unter 100 Freunden

Verloren unter 100 Freunden

Titel: Verloren unter 100 Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherry Turkle
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Rollen agieren. Bei einem Abendessen nahm eine kleine Gruppe von Leuten meine Ablehnung mit gutmütigem Enthusiasmus auf. Sie glaubten, einen höflichen, nützlichen
Roboter zu kennen, der selbst mir gefallen würde. Einige Versionen von ihm wurden gerade in den USA getestet, andere in Japan. Es war der Nursebot, ein Roboter, der alte Menschen zu Hause daran erinnert, ihre Medikamente einzunehmen und regelmäßig zu essen. Einige Modelle können im Notfall Medizin und Sauerstoff verabreichen. 15 In öffentlichen Einrichtungen wie Pflege- und Altenpflegeheimen und Krankenhäusern lernt der Nursebot, sich selbstständig von A nach B zu bewegen. Er kennt die Termine der Patienten und begleitet sie zu ihrem Bestimmungsort. Das schrecklich einsame Umherschlurfen in Pflegeheimen, wo die Senioren von Termin zu Termin gehen, das Warten in Krankenhäusern auf die Hilfskraft, die einen abholt: All das solle bald ein Ende haben. Schwindlig und erschrocken im Bett zu liegen, weil man die Medikamente in der Küche vergessen hat: Auch das sei bald vorbei. Die Forscher wollten die Kritikerin in ihrer Mitte beschwichtigen. Einer sagte: »Dies ist ein Roboter, den sogar Sherry gut finden muss.« Und tatsächlich zeigte man mir am nächsten Tag einen mit Interviews von zufriedenen, zumeist älteren Patienten angereicherten Werbefilm über den Krankenhaus-Begleitroboter.
    Wenige Monate später, nach einem Sturz auf den vereisten Stufen am Harvard Square, wurde ich selbst im Krankenhaus auf einer fahrbaren Krankenliege von einer Untersuchung zur nächsten gerollt. Meine Begleitung bei diesen Touren bestand aus einer wechselnden Schar männlicher Hilfskräfte. Sie wussten, wie weh es mir tat, wenn sie mich von der Trage auf den Untersuchungstisch heben mussten. Sie waren bemüht und überaus freundlich. Wie ich erfuhr, hatte ich einen harmlosen Beinbruch erlitten, der zwar unangenehm und schmerzhaft war, aber ohne Nachwirkungen verheilen würde. Der Mann, der mich zum Ausgang schob, wusste, dass ich eine gute Nachricht erhalten hatte, und klatschte mich ab. Der Nursebot hätte den logistischen Teil vermutlich auch hinbekommen,
aber ich war froh, in Gesellschaft von Menschen zu sein. Wegen dieser Erfahrung verschließe ich nun nicht die Augen vor den Vorteilen der Roboter, die ans Haus gefesselten Menschen hilfreich zur Seite stehen können – Roboter, die Medikamente ausgeben, Herzschlag und Atmung überprüfen und im Notfall einen Krankenwagen rufen –, aber meine eigene Erfahrung erinnert mich eben auch an die Einschränkungen dieser Roboter. Mich im Krankenhaus herumzuschieben war eine Aufgabe gewesen, die auch der Nursebot hätte erledigen können, aber es hätte einen Preis gehabt. Zwischen Menschen kommt es zum Austausch, Emotionen erreichen einen. Wenn es um Krankenpflege geht, gibt es womöglich gar keine Hilfsarbeiterjobs. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich tatsächlich Gefallen am Nursebot finden würde.
    Dennoch lässt diese Geschichte keine einfachen Schlussfolgerungen zu. Wir sprechen hier von einer komplizierten Angelegenheit. Einige Senioren erzählen mir, dass es ein paar Pflegebereiche gebe, für die sie einen Roboter einem Menschen vorziehen würden. Einige ließen sich lieber von einem Roboter baden; es wäre ein geringerer Eingriff in ihre Privatsphäre. Dies ist keine der Aufgaben, für die der Nursebot entwickelt wurde, aber künftige Nursebots werden sicherlich dazu in der Lage sein. Der Leiter eines Pflegeheims, das ich für meine Studien besucht habe, sagte: »Wir werden nicht wieder zu Kindern, wenn wir alt werden. Aber weil Abhängigkeit sehr kindlich aussehen kann, behandeln wir alte Menschen eben oft wie Kinder.« Altenpflegerinnen und -pfleger spüren die Schutzbedürftigkeit der Senioren und versuchen dies oft mit Schroffheit zu kompensieren; manchmal tun sie auch das Gegenteil und verwenden unangemessene Kosenamen wie »Süße« oder »mein Lieber« – Wörter, die Wärme erzeugen sollen, aber oft als herabwürdigend empfunden werden. Der Heimleiter setzt große Hoffnungen in Roboter, weil sie »neutral« seien.

    Seit 2006 kommt der Nursebot in verschiedenen Senioreneinrichtungen zum Einsatz. Diskussionsforen im Netz enthalten überwiegend positive Reaktionen. Der Erfahrungsbericht eines Altenpflegeheims in Oakmont, Pennsylvania, ist besonders anrührend. Es heißt darin: »Der Roboter erobert die Herzen der betagten Herrschaften im Sturm«. 16 Ein anderer Beitrag beschreibt den Roboter mit Namen

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