Verloren
mehr aufs Sightseeing konzentrieren kann, wäre ich wirklich froh, wenn wir schneller vorankämen –, hat er rundweg abgelehnt. Den Grund – dass er einen Rückfall befürchtet – verstehe ich natürlich, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er die Sache absichtlich verschleppt.
Er spricht in letzter Zeit auch sehr häufig von Matteo, viel öfter als zu Anfang, und es kommt mir vor, als würde er meine Reaktion beobachten, wenn er das tut. Und als ich ihm gestern, auch beiläufig, aber sehr deutlich zu verstehen gegeben habe, dass ich Matteo nicht mehr wiedersehen werde – ich habe nicht mal Angst, dass er plötzlich auftauchen könnte, weil ich sicher bin, dass er einen großen Bogen um Giacomos Haus macht, solange ich da bin –, wirkte Giacomo keineswegs zufrieden, eher im Gegenteil, er schien es sogar zu bedauern. Dabei war er es doch, der gesagt hat, dass Matteo nichts für mich ist.
Und ich hätte auf ihn hören sollen, denke ich mit einem Seufzen, und spüre wieder den jetzt schon vertrauten Stich in der Herzgegend. Heute ist Freitag, also ist es jetzt fünf Tage her, seit ich Matteos Haus verlassen habe, aber es ist noch nicht besser. Kein bisschen.
Ich träume jede Nacht von ihm, und tagsüber schiebt er sich ständig in meine Gedanken. Und selbst, wenn ich mal nicht an ihn denke, ist da immer dieser Druck auf meiner Brust, der nie weggeht. Dass es so wehtun könnte, hätte ich nicht gedacht, und ich wünschte wirklich, es gäbe eine Möglichkeit, den Schmerz zu betäuben.
Die einzige, die mir schließlich eingefallen ist – möglichst viel arbeiten, so wie ich es zu Hause tue, um mich von Unangenehmem, mit dem ich mich nicht auseinandersetzen will, abzulenken – hat zumindest die Tage leidlich gefüllt. Nachdem ich einen Nachmittag lang ziellos durch Rom geirrt bin, war mir nämlich klar, dass es so nicht weitergeht. Deshalb habe ich mich regelrecht auf den Auftrag von Grace gestürzt, ein zeitgenössisches Kunstwerk für ihren Mann zu finden, und beschlossen, schon jetzt, hier in Rom, nach etwas Passendem Ausschau zu halten.
Auf die Idee, Lorenzo Santarelli anzurufen und um Hilfe zu bitten, bin ich erst mit einiger Verspätung gekommen – einfach, weil ich ihn komplett vergessen hatte. Aber nachdem ich Andrews Galerie-Tipps alle durchhatte und noch nicht das wirklich Ausgefallene, Besondere dabei war, das mir vorschwebt, fiel mir gestern zufällig Santarellis Visitenkarte wieder in die Hände, die er mir auf dem Empfang gegeben hat – und es erschien mir zumindest einen Versuch wert.
Vielleicht habe ich es auch deshalb getan, weil Matteo mich so ausdrücklich vor ihm gewarnt hat. Aus Trotz. Schließlich hat er mit meinem Leben nichts mehr zu tun und kann mir folglich auch nicht vorschreiben, was ich tun sollte und was nicht.
Lorenzo Santarelli, der sich wirklich gefreut hat, von mir zu hören, war genauso wie auf dem Empfang bei Giacomo – zuvorkommend, höflich und sehr freundlich. Leider war aber der Besuch in seiner Galerie kein Erfolg. Die Ausstellungsfläche hatte zwar beeindruckende Ausmaße, reichte über zwei Etagen, doch es war wieder nichts dabei. Heimlich musste ich Matteo sogar recht geben, denn die Qualität der präsentierten Werke fand ich alles andere als überragend.
Bereut habe ich es trotzdem nicht, denn Santarelli war sehr hilfsbereit und hat mir noch weitere Adressen von Galerien in den Außenbezirken genannt. Außerdem hat er mich heute zu seiner Party eingeladen. Wenn ich nur nicht so müde wäre …
Der Klingelton meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken, und als ich es aus meiner Tasche hole, sehe ich, dass es Nigel ist. Nigel, mein Fels in der Brandung – der Mann, der in meinem Leben eine so wichtige Rolle gespielt hat, bevor ich nach Rom kam, und dem ich so viel schulde.
Wie immer, wenn ich seinen Namen im Display sehe, überschwemmen mich Schuldgefühle. Wenn ich mich nie auf Matteo eingelassen hätte, dann wäre aus Nigel und mir vielleicht wirklich irgendwann ein Paar geworden. Aber jetzt kann ich mir das überhaupt nicht mehr vorstellen, und obwohl ich weiß, dass ich ihm eigentlich keine Rechenschaft schuldig bin, ist mir klar, dass ihn das enttäuschen wird.
»Sophie?« Seine Stimme klingt warm, als ich drangehe. Beruhigend. Diese Wirkung hatte sie immer auf mich, und ich wünschte, ich könnte die alten Gefühle, diese zufriedene Ruhe wieder in mir finden, die ich sonst mit ihm verbunden habe. Aber da ist einfach gar nichts
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