Verlorene Eier
Sache herauskommt? Und 7.), 8.) und 9.) – wenn das passieren würde, wäre ich erledigt und du höchstwahrscheinlich genauso.«
Wieder herrscht lange Zeit Stille, während wir uns zu sammeln versuchen.
»Okay. Eine Schauspielerin fällt also weg. Aber wie sieht es mit jemandem aus, den wir kennen? Deiner Frau!«
Geralds säuerliche Miene lässt mich ahnen, dass er das für keine gute Idee hält. Schlagartig wird mir bewusst, dass wir in der Klemme stecken. Angela Huxtable, die in den vergangenen sechs Jahren ebenso frei erfunden war wie »ihre« Geschichten, soll nun auf einmal ein Mensch aus Fleisch und Blut sein. Sie soll Bücher signieren, Fragen interessierter Leserinnen beantworten, im Frühstücksfernsehen auftreten und sich so gebärden, wie man sich die Autorin von sülzigen Liebesromanen vorstellt. Das köstliche Gefühl des Erfolgs und des Wohlstands, in dem ich mich gerade noch geaalt habe, hat sich verzogen wie der morgendliche Nebel und ist einem Anflug von Übelkeit gewichen. Und ich habe Gerald noch nie so ernst gesehen.
»Was machen wir jetzt, Bill?«
3
Die Seezunge ist Geschichte. Wir sind beim Kaffee angelangt. Der Mann am Nebentisch starrt auf meine Schuhe. Einen Moment lang überlege ich, ob ich ihm von dem Leistenbruch meines Schusters in Oswestry erzählen soll.
Gerald und ich sind inzwischen beim Thema »Ausreden« angelangt.
Könnten wir nicht einfach sagen, Angela sei öffentlichkeitsscheu? Aber das werden uns die Amerikaner nie im Leben abkaufen. Angela Huxtable ist schließlich nicht J. D. Salinger und ihr Œuvre keine hochkarätige Literatur. Wenn die Typen eine Million hinblättern, werden sie unter Garantie auch professionelle Promotionauftritte sehen wollen.
Könnte sie ernsthaft krank sein? Wir haben es hier mit Verlegern und nicht mit Pflegepersonal zu tun. Wenn Angela einen Stift in der Hand halten kann, kann sie auch Signierstunden absolvieren.
Sie leidet unter Flugangst – dann soll sie eben mit dem Schiff anreisen.
Sie leidet unter Agoraphobie – ja klar. Sonst noch was.
Sie ist unfassbar hässlich. Sie leidet unter einer grauenhaften Entstellung, wie der Elefantenmensch oder so was – die Amerikaner werden ausflippen vor Begeisterung. Die Frau mit dem Gesicht eines Wasserspeiers von Notre-Dame schreibt Geschichten, bei denen einem das Herz aufgeht.
»Ich habe keine Ahnung, wie wir da wieder rauskommen sollen, Bill.« Der Champagner und der Sancerre, der zu unserer Seezunge serviert wurde, haben Geralds Gesichtsfarbe eine interessante rosig-bräunliche Schattierung verliehen. Er nimmt seine Nickelbrille ab und poliert sie mit dem Zipfel seiner Krawatte. Ich denke an die Viertelmillion Pfund und an all die wichtigen Zwecke, für die ich sie ausgeben wollte. Abgesehen von meinem Dach gibt es einen alten Mann bei mir im Dorf, der sein Zuhause zu verlieren droht, ein Kind, das dringend operiert werden muss, und im Schaufenster von Swaine Adney Brigg steht ein bildschönes Paar ochsenblutroter Budapester. Höchste Zeit für Angela Huxtable, in die Hände zu spucken.
Ich bin ein glühender Verfechter von Rudyard Kiplings Maxime: Gedanken schweifen lassen, abwarten und loslegen . Dieser Spruch ist als Anregung für den Schreibprozess gemeint, und Kipling will damit sagen, dass man seiner Fantasie freien Lauf lassen und in dem Vertrauen abwarten soll, dass einem irgendwann schon die zündende Idee kommt. Ich finde diesen Rat sehr hilfreich, wann immer ich im Zuge meiner eigenen literarischen Bemühungen in die Bredouille komme. Doch je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich, dass er auch auf das tägliche Leben anwendbar ist. Und er ist mir definitiv sympathischer als all dieses Panikmache-Gefasel à la »Carpe diem «, » Genieße dein Leben, ein zweites bekommst du nicht« und »Jeder, der mit dreißig noch Bus fährt, ist ein Loser«.
Also halte ich mich an seinen Rat. Und prompt kommt sie. Die wunderbare Lösung. Wunderbar deshalb, weil sie so einfach ist. Und weil ich dafür nicht zu lügen brauche.
»Ich werde Angela sein«, sage ich in aller Seelenruhe.
»Wie bitte?«
»Ich kann Angela sein. Wer könnte sie besser spielen als ich selbst?«
Gerald grinst mich an. Ich sehe, was er sieht – einen zerknautschten, unrasierten, schlecht gekleideten Mann jenseits des Zenits, der eindeutig zu lang auf dem platten Land gelebt hat. Einen Mann, der sich ein bisschen gehen lassen hat und – ehrlich wahr! – dem Härchen in den Ohren
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