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Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
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einem schulterfreien, bodenlangen Samtabendkleid da. Mir fällt auf, dass er schwarze Handschuhe trägt, die ihm bis zu den Ellbogen reichen. Das Orchester beginnt zu spielen, und er hebt zur ersten Strophe an.
    If you were the only girl in the world
    and I was the only boy …
    In Gobowen wache ich von meinem eigenen Gelächter auf.
    5
    Am nächsten Morgen bin ich etwas wacklig auf den Beinen. Ich bleibe kurz am oberen Treppenabsatz stehen und streiche mit den Fingern über das faustgroße Loch in der Wand. Das ist ein festes Ritual von mir. Zu der Geschichte mit dem Loch in der Wand komme ich später noch.
    Ich mache mir einen Kaffee und nehme den Becher – auch das ist eine Art Ritual – mit nach draußen, um die Aussicht zu genießen. Als Erstes kommt ein riesiges Feld, auf dem eine Handvoll Rinder grast. Dahinter schließt sich das Torfmoor an, ein manchmal unheimlich anmutendes, von vertrockneten Torfkanälen durchzogenes Areal, in dem mittlerweile Wildblumen und seltene Schmetterlinge gedeihen. Dahinter erhebt sich eine Reihe von Hügeln, deren Namen ich auch nach sieben Jahren noch nicht weiß. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, sie in Erfahrung zu bringen.
    Puffige weiße Wolken ziehen am Himmel entlang – Sie merken schon, dass ich kein Spezialist für Naturbeschreibungen bin, ja? –, während kleine Vögel (Mauersegler? Schwalben? Keine Ahnung!) wild umherfliegen und eine Beinahe-Kollision nach der anderen hinlegen. Der gestrige Tag fühlt sich wie ein ferner Traum an.
    Wollen mir die Amerikaner allen Ernstes eine Million Dollar zahlen? Gerald Douglas, so angenehm seine Gesellschaft auch sein mag, macht niemals Scherze über Geld. Aber ist es tatsächlich so leicht, eine Frau zu spielen? Mit dreizehn hatte ich noch die Jugend auf meiner Seite – glatte Haut, eine hohe Stimme, einen Damenschal auf dem Kopf, Moms altes Kleid und eine gesunde Portion Humor. Das hier hingegen ist ein ganz anderes Kaliber. Doch ich habe große Pläne mit meiner Million (abzüglich Provision plus Mehrwertsteuer).
    Reflexartig blicke ich – mindestens zum zweitausendsten Mal, seit ich diese Ruine gekauft habe – zu der Stelle, wo das Dach in sich zusammengesunken ist. Zusammengesunken drückt es wohl am besten aus. Es ist zwar nicht eingebrochen, aber definitiv auch nicht länger in der Lage, seinen Zweck zu erfüllen; sprich, es regnet ständig herein und bietet allerlei geflügeltem Getier die Möglichkeit, ein Päuschen im Trockenen zu machen und entspannt die Füße hochzulegen. Zum mindestens fünftausendsten Mal formt sich beim Gedanken an den Makler, der mich hierhergeschleppt hat, das Wort elender Mistkerl in meinem Kopf. Es war ein freundlicher Tag im April nach einem langen harten Winter gewesen – optimale Voraussetzungen, einem graugesichtigen Flüchtling aus der Tristesse von Crouch End die Aussicht auf ein neues gesundes Leben auf dem Lande zu präsentieren. Als wir von der Hauptstraße abgebogen und den holprigen Weg entlanggefahren waren, eingehüllt in eine Wolke aus blühendem Geißblatt und wildem Knoblauch, hätte mich ebenso gut ein rauchender Stapel Holz erwarten können, und ich hätte ihn trotzdem gekauft. Die Tatsache, dass das Häuschen lediglich völlig zerfallen, der Garten hoffnungslos überwuchert war und das Dach »ein, zwei neue Ziegel brauchen« würde, veranlasste mich, auf der Stelle die geforderte Summe hinzublättern.
    »Ein, zwei neue Ziegel«, so stellte sich später nach Expertenmeinung heraus, war ein Synonym für »ein vollständig neues Dach«. Ganze Balken und Träger seien »gefährlich modrig«, doch zu diesem Zeitpunkt schlug ich mich bereits mit ganz anderen Problemen privater Natur herum.
    Ich erhasche einen Blick auf mein Gesicht im Küchenfenster. Trotz der Verschwommenheit ist es eindeutig ein Männergesicht. Ich schürze die Lippen. Das macht es noch schlimmer. Tja, die Zeit seit Madame Arcati ist an keinem von uns spurlos vorübergegangen. Zum ersten Mal verfluche ich den Entschluss, Angela Huxtable ins Leben gerufen zu haben. Wieso wollten die Leser nicht eine Liebesgeschichte aus der Feder eines Mannes lesen? Eine gute Geschichte ist doch eine gute Geschichte, egal von wem sie stammt, oder?
    Tja. Manchmal muss man eben Opfer bringen. Wenn eine Frau erwartet wird, die Bücher signiert, dann muss ich eben eine Frau sein.
    Der Bart muss natürlich ab.
    Und ich werde eine Perücke brauchen. (Grundgütiger.)
    Und Make-up.
    Und Polster. (Scheiße.)
    Ein Kleid.

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