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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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behandelte, sah ihn unter Wutkrämpfen sterben. Die Quelle dieses Ehrgeizes war die leidenschaftliche Liebe, die der alte Wundarzt zu seiner Frau hegte, die das letzte Glied der Familie von Rubempré war und die er im Jahr 1793 wie durch ein Wunder vom Schafott gerettet hatte. Ohne daß das junge Mädchen dieser Lüge hatte zustimmen wollen, hatte er einen Aufschub erreicht, indem er sagte, sie sei schwanger. Nachdem er sich so das Recht verschafft hatte, sie zu seiner Frau zu machen, heiratete er sie trotz ihrer beider Armut. Die Kinder besaßen, wie alle Kinder der Liebe, als Erbe weiter nichts als die wunderbare Schönheit der Mutter, ein oft verhängnisvolles Geschenk, wenn es mit Not und Elend verknüpft ist. Dieses Hoffen, dieses Arbeiten, dieses Verzweifeln hatten die Schönheit Frau Chardons sehr beeinträchtigt, ebenso wie die stufenweis steigende Not ihre Lebensart verändert hatte, aber ihr und ihrer Kinder Mut war ebenso groß wie ihr Unglück. Die arme Witwe verkaufte die Apotheke, die in der Hauptstraße von Houmeau, der bedeutendsten Vorstadt von Angoulême, gelegen war. Der Preis der Apotheke erlaubte ihr, sich dreihundert Franken Leibrente festzulegen, eine Summe also, die für ihre eigene Existenz nicht ausreichen konnte, aber sie und ihre Tochter fügten sich in ihre Lage ohne falsche Scham und übernahmen Lohnarbeit. Die Mutter widmete sich der Wochenpflege, und sie wurde infolge ihrer guten Manieren in den reichen Häusern jeder andern vorgezogen, sie konnte sich dort verpflegen, ohne ihren Kindern etwas zu kosten, wobei sie täglich noch zwanzig Sous verdiente. Um ihrem Sohn die Beschämung zu ersparen, seine Mutter in einer so erniedrigten Lage zu sehen, hatte sie den Namen Madame Charlotte angenommen. Die Frauen, die ihrer Pflege bedurften, hatten sich an Herrn Postel zu wenden, den Nachfolger Herrn Chardons. Die Schwester Luciens arbeitete bei einer sehr ehrenwerten und in Houmeau geachteten Frau namens Prieur, einer Weißwäscherin, die ihre Nachbarin war, und verdiente täglich ungefähr fünfzehn Sous. Sie führte die Aufsicht über die Arbeiterinnen und erfreute sich in der Wäscherei einer Art Vorzugsstellung, die sie ein wenig über die Klasse der Wäscherinnen erhob. Die geringen Erträgnisse ihrer Arbeit zusammen mit den dreihundert Franken Rente von Frau Chardon beliefen sich ungefähr auf achthundert Franken im Jahr, mit denen diese drei Personen sich nähren, sich kleiden und wohnen mußten. Trotz dieser streng eingeschränkten Lebensweise wollte die Summe, die fast völlig von Lucien verbraucht wurde, kaum ausreichen. Frau Chardon und ihre Tochter Eva glaubten an Lucien, wie die Frau Mahomets an ihren Gatten glaubte; ihre Hingabe an seine Zukunft war grenzenlos. Diese arme Familie hauste in Houmeau in einer Wohnung, die sie für einen sehr niedrigen Preis bei dem Nachfolger Herrn Chardons gemietet hatte und die hinten in einem Hofe über dem Laboratorium gelegen war. Lucien hatte eine elende Mansardenstube inne. Angeregt von seinem für die Naturwissenschaften begeisterten Vater, hatte Lucien sich auf dieses Studium geworfen und war einer der hervorragendsten Schüler des Collège von Angoulême, wo er in der dritten Klasse saß, als Séchard seine Studien eben beendet hatte.
    Als der Zufall die beiden Studiengefährten wieder zusammenführte, stand Lucien, der es müde war, den schweren Kelch des Elends zu trinken, im Begriff, einen der verzweifelten Schritte zu tun, zu denen man sich mit zwanzig Jahren entschließt. Vierzig Franken monatlich, die David Lucien großmütig gab, indem er sich erbot, ihn zum Faktor auszubilden, obgleich er durchaus keinen brauchte, retteten Lucien aus seiner Verzweiflung. Die Bande dieser solchermaßen erneuerten Studienfreundschaft gestalteten sich infolge der Ähnlichkeit ihres Geschicks und der Verschiedenheit ihrer Charaktere bald enger. Alle beide hatten den Kopf voller großer Pläne, beide besaßen den hohen Geist, der einen Menschen den Höchsten gleichsetzt, und beide sahen sich auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Diese Ungerechtigkeit des Schicksals war ein starkes Band. Ferner waren beide von verschiedenen Seiten her bei der Poesie angelangt. Obwohl er für die schwierigsten Forschungen der Naturwissenschaften bestimmt war, drängte es Lucien glühend nach literarischem Ruhm, während David, den sein sinnender Geist zur Poesie bestimmte, seinem Geschmack nach den exakten Wissenschaften zuneigte. Diese Vertauschung der Rollen machte

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