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Verlorene Illusionen (German Edition)

Verlorene Illusionen (German Edition)

Titel: Verlorene Illusionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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sein, könnte der Herold ihres Ruhmes werden.
    »Was ist überhaupt eine Freundschaft, die davor zurückschreckt, mit dem Freund durch dick und dünn zu gehen?« fragte er eines Abends Michel Chrestien, den er in Gesellschaft von Léon Giraud nach Hause begleitet hatte.
    »Wir schrecken vor nichts zurück«, antwortete Michel Chrestien. »Wenn du das Unglück hättest, deine Geliebte zu töten, hülfe ich dir, die Spuren des Verbrechens zu verwischen, und könnte dich noch achten; aber wenn du ein Spion würdest, würde ich dich mit Schaudern fliehen, denn du wärst ein systematischer Tropf und Halunke. Da hast du mit zwei Worten den Journalismus. Die Freundschaft verzeiht den Irrtum, die unüberlegte Aufwallung der Leidenschaft; gegenüber dem Vorsatz, mit seiner Seele, seinem Geist und seinem Denken Handel zu treiben, muß sie unversöhnlich sein.«
    »Kann ich nicht Journalist sein, bis ich meine Gedichtsammlung und meinen Roman verkauft habe, und dann sofort von der Zeitung fortgehen?«
    »Machiavelli könnte das tun, aber nicht Lucien von Rubempré«, sagte Léon Giraud.
    »Wohlan,« rief Lucien, »ich will euch beweisen, daß ich es so gut wie Machiavelli kann.«
    »Oh!« rief Michel und griff nach Léons Hand, »dieses Wort war gefährlich für ihn. – Lucien,« fuhr er fort, »du hast dreihundert Franken, also so viel, daß du drei Monate bequem davon leben kannst; nun also: arbeite, schreib einen zweiten Roman, d'Arthez und Fulgence werden dir für den Stoff an die Hand gehen; du wirst in die Höhe kommen, du wirst ein guter Erzähler. Ich will mich in eins dieser Bordelle des Denkens begeben und will drei Monate lang Journalist werden; ich will deine Bücher bei einem Verleger anbringen, dessen Neuerscheinungen ich angreifen will; ich werde die Artikel schreiben, ich werde welche für dich erlangen; wir wollen den Erfolg organisieren, du wirst ein großer Mann und bleibst unser Lucien.«
    »Du verachtest mich also sehr, da du glaubst, daß ich da zugrunde gehe, wo du heil davonkommst?« erwiderte der Dichter. »Verzeih ihm, mein Gott, er ist ein Kind!« rief Michel Chrestien.
    Lucien hatte, nachdem sein Geist an den bisherigen Abenden bei d'Arthez in Bewegung gekommen war, die Scherze und die Artikel der kleinen Zeitungen studiert. Er war sich sicher, den witzigsten Redakteuren mindestens ebenbürtig zu sein, versuchte sich heimlich in dieser Gedankengymnastik und verließ eines Morgens mit dem triumphierenden Vorsatz das Haus, bei irgendeinem Regimentsführer dieser leichten Truppen der Presse sich anwerben zu lassen. Er warf sich in seinen feinsten Anzug und ging. Auf seinem Weg über die Brücken dachte er sich, Schriftsteller und Journalisten, kurz, seine künftigen Brüder müßten ein wenig mehr Freundlichkeit und Uneigennützigkeit haben, als die zwei Sorten Buchhändler, an denen seine Hoffnungen gescheitert waren. Er würde auf Sympathien stoßen, auf gute und freundliche Geneigheit, ähnlich der, die er im Kreise der Rue des Ouatre-Vents gefunden hatte. Die erregten Stimmungen des Vorgefühls und der Ahnung, denen sich die Phantasiemenschen so gern überlassen, alles was er gehört und bekämpft hatte, stürmte auf ihn ein. So langte er in der Rue Saint-Fiacre beim Boulevard Montmartre vor dem Hause an, wo sich die Geschäftsräume des Kleinen Journals befanden. Als er davorstand, empfand er ein heftiges Beben, wie ein Jüngling, der in ein schlechtes Haus eintreten will. Trotzdem stieg er die Treppe zu den Geschäftsräumen hinauf, die im ersten Stock lagen. In dem ersten Zimmer, das durch eine zur Hälfte aus Brettern und zur Hälfte aus Gitterwerk, das bis zur Decke reichte, bestehende Scheidewand in zwei gleiche Teile getrennt war, traf er einen einarmigen Invaliden, der mit seiner einzigen Hand ein paar Stöße Papier auf dem Kopf trug und zwischen den Zähnen eine Anzahl Streifen mit Stempelmarken hatte. Dieser arme Mann, dessen Gesicht gelb und voll roter Buckel war, was ihm den Spitznamen Koloquint eingetragen hatte, wies ihm hinter dem Gitter den Zerberus der Zeitung. Es war ein pensionierter Offizier mit einem Orden. Unter seiner Nase hing ein mächtig großer Schnurrbart, er trug eine schwarzseidene Mütze auf dem Kopf und steckte, wie eine Schildkröte in ihrem Panzer, in einem weiten blauen Rock.
    »Von welchem Tag an wollen Sie abonnieren?« fragte ihn der frühere kaiserliche Offizier.
    »Ich komme nicht wegen eines Abonnements«, erwiderte Lucien.
    Unser Dichter bemerkte jetzt

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