Verlorene Illusionen (German Edition)
ihn sehe, bin ich gezwungen, ihm die Hand zu reichen.«
»Und warum?« fragte Lucien stolz.
»Es kann der Fall eintreten, daß ich zehn Zeilen in seinem Feuilleton unterbringen muß«, antwortete Lousteau kalt. »Denn, mein Lieber, Arbeiten ist nicht das Geheimnis des Glücks in der Literatur, es handelt sich darum, die Arbeit der andern auszubeuten. Die Zeitungsbesitzer sind Unternehmer, wir sind Handlanger. Je mittelmäßiger ein Mensch ist, um so schneller gelangt er ans Ziel; er kann lebendige Kröten verschlucken, sich mit allem zufriedengeben, den niedrigen kleinen Gelüsten der literarischen Despoten schmeicheln, wie einer, der als Anfänger aus Limoges kam, Hector Merlin, der bereits in einer Zeitung des rechten Zentrums politische Artikel schreibt und an unserm Kleinen Journal mitarbeitet; ich habe gesehen, wie er einem Chefredakteur den Hut aufhob, der ihm heruntergefallen war. Dieser Bursche wird sich, während sich die andern Ehrgeizigen voller Neid gegenseitig bekämpfen, zwischen ihnen durchschlängeln, wird keinem etwas tun und wird ans Ziel gelangen. Ich habe Mitleid mit Ihnen. Ich sehe mich in Ihnen, wie ich gewesen bin, und ich bin sicher, in einem oder zwei Jahren sind Sie, was ich bin. Sie glauben an geheime Eifersucht, an irgendein persönliches Interesse bei diesen bittern Ratschlägen; aber sie sind von der Verzweiflung des Verdammten eingegeben, der aus der Hölle nicht mehr herauskommt. Niemand wagt zu sagen, was ich Ihnen mit dem Schmerz eines Menschen, der im Herzen getroffen ist, und wie ein zweiter Hiob auf dem Misthaufen zurufe: ›Sieh meine Geschwüre!‹«
»Gleichviel, ob auf diesem Felde oder auf einem andern, ich muß kämpfen,« sagte Lucien.
»So hören Sie es denn!« erwiderte Lousteau, »dieser Kampf wird nie zur Ruhe kommen, wenn Sie Talent haben; denn Ihre beste Chance wäre, keins zu haben. Ihr strenges Gewissen, das heute rein ist, wird sich vor denen beugen, in deren Händen Ihr Erfolg ruht, die Ihnen mit einem Wort zum Leben verhelfen können, es aber nicht sagen wollen; denn, glauben Sie mir, der beliebte Schriftsteller ist anmaßender und härter gegen die Anfänger, als der brutalste Verleger. Wo der Verleger nur einen Verlust fürchtet, erblickt der Schriftsteller einen Rivalen: der eine komplimentiert Sie hinaus, der andere schlägt Sie zu Boden. Armer Jüngling! Sie wollen schöne Werke schreiben und schöpfen aus Ihrem Herzen die Zärtlichkeit, das Mark, die Energie, lassen das alles durch Ihre Feder gehen und breiten es als Leidenschaft, als Empfindung, als schöne Sätze aus! Ja, Sie schreiben, statt zu handeln. Sie siegen, statt zu kämpfen. Sie lieben, Sie hassen, Sie leben in Ihren Büchern; aber wenn Sie Ihren ganzen Reichtum Ihrem Stil gegeben haben, wenn Sie Ihr Gold und Ihren Purpur für Ihre Gestalten verschwendet haben, wenn Sie in Lumpen durch die Straßen von Paris gehen und beglückt darüber sind, daß Sie mit den Standesamtsregistern gewetteifert haben und Geschöpfe namens Adolf, Corinna, Clarissa, Renée oder Manon in die Welt gesetzt haben, wenn Sie mit dieser Schöpfung Ihr Leben und Ihren Magen verdorben haben, dann müssen Sie erleben, wie sie von den Journalisten in den Lagunen des Totschweigens verleumdet, verraten, verkauft und verstoßen, wie sie von Ihren besten Freunden begraben wird. Können Sie den Tag erwarten, wo Ihre Schöpfung, wer weiß von wem? wann? wie? wiedererweckt wird? Es gibt ein prächtiges Buch: der pianto der Ungläubigen, ›Obermann‹, das einsam und verlassen in der Wüste der Buchhändlermagazine schlummert und das die Buchhändler darum spöttisch einen Ladenhüter nennen: wann wird für dieses Buch Ostern kommen? Niemand weiß es! Suchen Sie vor allem einmal einen Verleger, der den Mut hat, Ihre ›Margueriten‹ zu drucken. Ich rede gar nicht von Honorar, das er Ihnen zahlen soll, ich rede nur vom Druck. Da werden Sie seltsame Dinge erleben.«
Diese rauhe Rede, die je nach der Stimmung, die sie gerade zum Ausdruck brachte, von Lousteau mit mannigfacher Betonung gesprochen wurde, fiel wie eine Lawine auf Luciens Herz und erstarrte es mit eisiger Kälte. Er blieb eine Zeitlang aufrecht und stumm stehen. Endlich taute sein Herz, als ob es von der furchtbaren Poesie der Schwierigkeiten gereizt würde, wieder auf. Er drückte Lousteaus Hand und rief ihm zu:
»Ich werde siegen!«
»Schön!« sagte der Journalist. »Wieder ein Christ, der in die Arena steigt, um von den Bestien gefressen zu werden. – Heute
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